Die Herrin des Labyrints
zu meinen Gästen zurück.«
Ich brachte sie nach unten, und wenig später verabschiedeten Patrick und ich uns.
»Papp, bin ich satt!«, stellte mein Sohn fest und versank in einen komatösen Verdauungszustand. Ich war ganz froh, dass ich mich nicht mit ihm unterhalten musste.
»Wie war dein Nachmittag bei den Senioren?«, fragte Halima.
»In vielerlei Hinsicht sehr aufschlussreich.«
»Wir reden später darüber. Bereite dich auf das Tanzen vor. Wir widmen uns heute dem Taksim.«
Es war überaus anstrengend. Statt mit schnellen, dynamischen Bewegungen musste ich mich diesmal mit langsamen Schleifen und Achten, Wellen und Kreisen quälen. Einst hatte ich geglaubt, ich würde sie einigermaßen beherrschen, jetzt lernte ich gänzlich neue Sehnen und Muskeln kennen, die gedehnt, gedreht und gestreckt werden konnten, um den Anschein höchster Geschmeidigkeit und höchster Eleganz zu erzeugen. Selbstverständlich war bald überhaupt nichts mehr davon zu spüren.
»Hast du irgendwelche besonders guten Kontakte zu einem Orthopäden, Halima?«, stöhnte ich, als ich mich zu meinem Glas Tee in den Diwan fallen ließ.
»Warum?«
»Ich brauche zwei neue Hüftgelenke und ein paar andere Ersatzteile mehr.«
Sie lachte nur trocken auf und ließ ihre Armreifen klirren, als sie eine wegwerfende Bewegung machte. Dann fragte sie nach den aufschlussreichen Erfahrungen des vergangenen Tages, und ich berichtete ihr von der Reaktion der alten Damen.
»Das war das erste Mal, dass du direkten und bewussten Kontakt mit dem Publikum hattest, nicht wahr?«
»Im Prinzip ja, vor allem, wenn du das ›bewusst‹ meinst.«
»Es gibt einen Kick, nicht?«
»Ja, den gibt es. Es war einfach schön!«
»Das ist es, was uns meistens inspiriert, dieser Kontakt, der dort hergestellt wird. Er wirkt wie ein Energiestoß. Wenn du Pech hast, kann auch der umgekehrte Fall eintreten. Wenn sie dir nicht geneigt sind, dann verlierst du deine Energie.«
»Was macht man dann?«
»Versagen oder für ein anderes Publikum tanzen. Dazu kommen wir später. Halte die Erfahrung lebendig und versuche, davon mehr zu bekommen. Das war aber noch nicht alles, was dich beeindruckt hat, oder täusche ich mich?«
»Du täuschst dich nicht, aber ich denke, über die andere Sache sollte ich nicht sprechen. Es ist nicht meins, was ich dort erfahren habe. Aber zufällig hat es etwas mit Damon zu tun.«
»Zufällig.« Halima lächelte. »Ich merke, du hast etwas gelernt.«
»Wenn man etwas wirklich will, tun sich solche Zufälle auf. Ja, stimmt. Ich wollte es selbst kaum glauben. Übrigens, gibt es irgendeine Nachricht, wann meine Unterlagen hier eintreffen?«
»Interessant, dass du fragst. Ja, ich habe gestern Abend mit Hassan gesprochen. Nächste Wochen sind sie hier.«
»Es wird interessant sein, herauszufinden, welchen Namen mir Josiane gegeben hat, meinst du nicht auch?«
»Nein, das meine ich nicht, Amanda.«
»Nicht?«
»Es wird nicht der Name derer sein, die den Tanz anführt, denn Gita konnte ja wohl kaum wissen, welchen offiziellen Namen Josiane dir gegeben hat.«
»Sag mal, langsam habe ich das Gefühl, es wissen hier alle mehr als ich. Verdammt noch mal, wenn ihr alle so schlau seid, warum hilft mir denn keiner?«
Ich war wirklich wütend. Seit Monaten arbeitete ich jetzt an dem Rätsel, der Münze und meiner Identität herum, und immer, wenn ich meinte, einen Schritt weitergekommen zu sein, stand irgendwer auf und bestätigte mir, dass alles doch sonnenklar sei.
»Erstens, Amanda, helfen dir eine Menge Leute, und zweitens trägst du selbst die Dinge zusammen und erzählst so darüber, dass jeder deinen Gedankengängen folgen kann. Darum darfst du dich nicht wundern, wenn andere dieselben Schlüsse ziehen. Im Übrigen glaubst du doch selbst nicht, dass die Lösung des Rätsels so oberflächlich ist.«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Sag mir, vielwissende Halima, welche Frau tanzt in einem Labyrinth, das aus Steinen auf den Boden gelegt ist?«
»Keine Ahnung. Aber es existieren solche Steinlegungen, ich glaube, in Skandinavien.«
»Gibt mir nicht die Tatsache, dass ich dich einst gezeugt habe, das Recht, dir zu befehlen, die Klappe zu halten?«
»Biologisch gesehen nicht, aber du kannst es ja mal über die persönliche Ausstrahlung versuchen!«
Dieser Wortwechsel zwischen Damon und Patrick klang von der Terrasse zu mir, als ich nachmittags steif, müde und leicht humpelnd ins Haus trat.
»Und, klappt es mit der Ausstrahlung?«, fragte ich,
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