Die Herrin des Labyrints
Gruppe darstellten. Nicole begrüßte mich mit lautem
Hallo und überschäumend vor Begeisterung.
»Wir haben uns ja so lange nicht gesehen, Amanda. Du siehst bombastisch aus! So frisch! Richtig blühend. Machst du jetzt diesen Kurs hier mit?«
»Ich mache ihn nicht mit, ich übernehme ihn heute. Halima ist krank.«
»Oh, die Ärmste, was hat sie denn? Aber wieso du? Hat sie keine Vertretung?«
»Doch, mich.«
»Das ist aber ganz schön mutig von dir.«
Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, erkundigten sich die anderen mitfühlend nach Halima, und ich gab zurückhaltend Auskunft.
»So, nächste Woche wird sie bestimmt wieder fit sein. Fangen wir mit dem Aufwärmen an.«
Es ging wirklich recht gut, die Mädels waren von Halima Disziplin gewöhnt und hatten mir gegenüber keine Vorbehalte. Ich übte ein paar einfache Schrittdrehungen mit ihnen ein und bemühte mich, Nicole nicht besonders zu beachten. Es wurde allerdings unmöglich, als ich die Gruppe zur Musik üben ließ.
»Autsch, Nicole! Behalt doch mal deine Arme bei dir!«
»Oh, Entschuldigung, Bettina. Aber etwas Platz brauche ich auch.«
»Wir haben alle nicht mehr Platz, aber du wedelst ständig so unkontrolliert herum.«
»Keine Diskussionen bitte. Kommt, noch einmal … fünf, sechs, sieben, acht!«
Es war schon recht einheitlich, nur Nicole machte wirklich ein fürchterliches Gewedel.
»Amanda, zeigst du uns bitte noch mal die Armbewegung?«
»Natürlich. Zum Schwungholen die Arme zusammen auf drei, dann rechts hoch, links gestreckt auf vier.«
Bettina entging wieder nur knapp einer Ohrfeige und brauste auf: »Nicole, hast du nicht gehört? Arme an den Körper bei der Drehung.«
»Mach mich doch nicht ständig an!«, giftete Nicole zurück. »Ich weiß schon, was ich tue. Ich habe schließlich jahrelang Ballett gemacht.«
»Jahrelang? So alt siehst du aber gar nicht aus.«
»Ah, du warst das, die den sterbenden Albatros getanzt hat!«
»Aber weder an noch auf der Spitze!«
Alles lachte, aber Nicole verstand keinen Spaß. »Ihr könnt mich mal!«, zischte sie und stürmte aus dem Raum. »Nicole, nun bleib doch hier!«, rief ich ihr nach, aber sie war zu wütend, um darauf zu reagieren. Sie warf sich ihre Jacke über und schickte mir einen brennenden Blick, der vor Hass nur so sprühte. Zu einem solchen Ausbruch hatte ich sie bisher gar nicht für fähig gehalten und war beinahe entsetzt von der Wucht ihrer Gefühle.
»Lass sie gehen, Amanda, sie stört hier sowieso immer nur. Wir wollen noch ein paarmal wiederholen, damit es endlich sitzt.«
Eine halbe Stunde noch übten wir, dann tanzten wir ausgelassenzwei Stücke durch. Mit verschwitzten Gesichtern ließen wir uns schließlich in die Kissen und Polster fallen, nur Bettina griff sich plötzlich an die Schläfe.
»Mein Gott, habe ich Kopfschmerzen. Die sind ja wie angeflogen gekommen.«
Sie war beinahe grün im Gesicht, und eine der anderen Frauen nahm sich ihrer an.
Ich hätte gewarnt sein müssen. Aber ich war es nicht.
Zwar war ich jeden Abend so müde und körperlich so erschöpft, dass ich sozusagen in Sekundenbruchteilen einschlief, wenn ich die Decke über mich gezogen hatte, aber diesmal wurde ich mitten in der Nacht wach. Erst war es ein leises Unbehagen, das mich beschlich, dann aber wurde regelrechte Angst daraus. Ich dachte an Patrick, und ich malte mir aus, was alles geschehen konnte dort in der Wildnis. Schon sah ich ihn in einer einsamen, felsigen Gegend alleine herumirren, hungrig und durstig, mit aufgeschrammten Armen und Beinen. Ich sah ihn stolpern, einen angstvollen Blick über die Schulter werfen und dann zu rennen beginnen. Ich wusste, er floh vor dem Schatten eines Mannes, der drohend näher und näher kam. Dornige Gewächse griffen nach seinen Beinen, hinderten seinen Lauf und machten seine Schritte unsicher. Der Verfolger holte auf, und mit letzter Anstrengung sprang Patrick auf einen Felsvorsprung. Der Felsen brach unter seinem Gewicht, und in eine Staubwolke gehüllt sah ich, wie er einen steilen Geröllhang hinabrollte und an einem Baumstumpf reglos liegen blieb. Der Schatten war plötzlich über ihm und griff nach ihm. »Wehr dich!«, wollte ich ihm zurufen, »Lass nicht zu, dass er dich verletzt!« Aber hilflos blieb mein kleiner Junge der schwarzen Gestalt ausgeliefert. Ich schüttelte mit Gewalt diese Phantasien ab und versuchte, mir bewusst zu machen, dass es sich lediglich um meine eigenen Ängste handelte, nicht um eine reale Gefahr. Aber es
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