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Die Herrin des Labyrints

Die Herrin des Labyrints

Titel: Die Herrin des Labyrints Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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langen, schlackernden Beinen, eine Schallplattensammlung – peinlich, peinlich, was für einen Geschmack ich damals gehabt hatte –, Kinderbücher, deutlich zerlesen, eine Tüte mit Muscheln, aus der ein wenig Sand rieselte, Schulhefte und natürlich eine ganze Schachtel voll mit Briefen, wie wir sie uns Freundinnen immer geschrieben hatten. Zeugnisse einer ganz normalen Kindheit undJugend. Von manchem fiel es mir schwer, mich zu trennen. An einigen Tagen saß ich, ohne auch nur irgendein Fetzchen wegzuwerfen, lesend und blätternd auf einer der Kisten und versank in einer anderen, vergangenen Welt.
    Dann hatte ich mich allmählich bis in die jüngste Vergangenheit vorgearbeitet, die aus zwei Koffern und einer Tasche von Ulli bestand. Darin hatte er seine ganze Habe transportiert, als er bei mir eingezogen war. Ich stand davor und schüttelte verständnislos den Kopf. Konnte ein Mensch so genügsam sein? Mir war das damals gar nicht so aufgefallen, als wir uns kennenlernten. Das war zu einer Zeit, als ich einen älteren, an den Rollstuhl gebundenen Herren betreute, der großen Wert darauf legte, täglich, ob es stürmte oder schneite, ob Bruthitze über dem Land lag oder der Frost biss, mindestens zwei Stunden durch den Park geschoben zu werden. Das war insoweit ja ganz vernünftig und auch sehr gesund, aber eine Plackerei für mich. Ulli, der durch eben denselben Park seine Joggingrunden drehte, begegnete uns beinahe jeden Nachmittag. Bald nickten wir uns freundlich zu. Dann, als ich eines Tages im Winter mit roter Nase, schniefend und hustend den Rollstuhl vor mich hinschob, sprach er mich an, und in seinen Augen stand Mitgefühl. Das war für mich etwas so Unerwartetes, dass ich seine Einladung auf einen heißen Tee dankend annahm. Wir trafen uns im Café, nachdem ich den alten Herren versorgt hatte, und mehr als der starke, süße Tee half mir Ullis Freundlichkeit in jenen Tagen. Ich war damals achtundzwanzig, und meine Scheidung von Damon lag fünf Jahre zurück. Seither hatte ich keine engeren Beziehungen zu Männern gehabt, einerseits weil mir die Pflege meiner kranken Eltern dafür keine Zeit ließ, zum andern, weil mir die Erfahrung mit Damon zu tiefe Wunden zugefügt hatte, als dass ich noch einmal ein solches Wagnis eingehen wollte. Aber Ulli war sanft, verständnisvoll – und er ließ mir Zeit. Er überwältigte mich nicht mit leidenschaftlichen Gesten, doch er half mir in kleinen Dingen. Als es Herbst wurde, machte ich ihm das Angebot, zu mir zu ziehen. Es schien sich zu bewähren, auch wenn Patrick nie so recht herzlich zu Ulli war. Offenen Streit gab es zwar zwischen beiden nicht, aber eine eigenartige Spannung.Unsere Beziehung war schnell in eine behäbige Routine geglitten, aber seit ich mich nicht mehr um die Suche nach der verschollenen Enkelin kümmerte, war Ulli sogar bemüht, wieder verständnisvoller und hilfsbereiter zu sein.
    Es war eine friedliche Zeit, diese drei Monate, in denen ich mein Haus aufräumte, renovierte, Wände anstrich, Möbel umstellte und mich von dem ganzen alten Ballast trennte. Seltsamerweise schien sich dadurch so ganz allmählich in mir eine Verspannung zu lösen. Ich fragte mich, ob Halima nicht vielleicht doch recht gehabt hatte, dass mit dem ganz konkreten Aufräumen eines schmutzigen Gerümpelkellers wirklich auch eine innere Ordnung entstand. Vor allem wurde diese mich beständig quälende Frage nach dem, was ich denn nun wirklich war und was ich eigentlich sein wollte, weniger brennend. Ich war das, was ich in diesem Augenblick war. Und eines Tages – es war bereits Anfang Dezember – machte ich mich mit einem Eimer Seifenwasser daran, die Spiegeltüren des Kleiderschrankes zu reinigen.
KAPITEL 19

    Frau Hels Nebelheim
    In den kalten, wabernden Nebeln tastete die Göttin nach einer Stütze, um ihren geschundenen Leib zu erheben. Sie fand etwas Weiches, Glattes und zog sich daran hoch.
    »Eine ziemlich schwergewichtige Göttin«, sagte die Stütze und funkelte rötlich. Die Göttin erschreckte sich und glitt wieder aus.
    »Na komm schon, versuch es noch einmal!«
    »Wer bist du denn?«
    »Ich bin – bitte nicht schimpfen – ich bin ein Dämon. Ich heiße Galla.«
    »Dämonen haben mich gehetzt, gekniffen, gebissen und gekratzt. Sie haben mich tief hinunter in die Welt unter den Weltengetrieben bis zu dem Abgrund des Chaos. Warum bist du jetzt hier an meiner Seite? Wirst du mich auch kratzen und beißen?«
    »Nein, nein, nein, ganz bestimmt nicht«, wehrte

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