Die Herrin des Labyrints
fähig war.
Doch wieder verwandelte er sich, und als ich aufwachte, war es Damon, der an meiner Brust lag. Nackt, seine Haare zerrauft, lange, blutige Striemen über seinen ganzen Körper verteilt und der Abdruck von harten Bissen an Schultern und Hals. Er schlief oder war bewusstlos. Er bewegte sich nicht, als ich mich vorsichtig von ihm fortbewegte. Kaltes Entsetzen hielt mich gepackt. Was war geschehen? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Wie war ich hierhergekommen, in dieses Zimmer? Auf dem Boden breitete sich eine glitzernde Lache roten Blutes aus. In heller Panik griff ich nach ein paar Kleidungsstücken, einer Jeans, die mir zu groß war, und einem dicken Rollkragenpullover. Fliehen, das war mein einziger Gedanke. Ich floh, rannte wie getrieben durch schwach beleuchtete Gänge, fand den Weg nach unten und wurde von einem uniformierten Mann aufgehalten.
»Entschuldigen Sie, sind Sie Frau Ellingsen-Reese?«
»Wer? Ach, ja, ja, ich bin Amanda Ellingsen. Warum?«
»Geht es Ihnen besser? Ihre Freundin, Frau Massoun, hat Ihre Sachen hier für Sie hinterlassen, nachdem Sie zusammengebrochen waren. Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
»Oh, bitte, ja. Oder haben Sie meine Tasche?«
Er gab sie mir, und ich fischte den Autoschlüssel heraus.
»Sie sollten besser nicht fahren!«
»Warum nicht? Halten Sie mich für betrunken?«
»Nein, aber Sie sehen nicht gut aus.«
»Mischen Sie sich nicht in meine Angelegenheiten!«, schnauzte ich zurück, schlüpfte in meine Schuhe und stürmte aus dem Hotel in die Tiefgarage. Ich fand mein Auto, schaffte es nur ganz knapp, eine Massenkarambolage zwischen den parkenden Fahrzeugen zu vermeiden, und fuhr auf die Straße. Im Nachhinein wares vermutlich ein Glück, dass morgens um halb vier die Stadt so gut wie menschenleer war.
Leise schloss ich die Haustür auf und schlich mich in das Badezimmer, um sofort eine brühendheiße Dusche zu nehmen. Ich musste das Blut von mir abwaschen, das war mein drängendster Wunsch. Aber als ich an mir hinuntersah, war da keine Spur von Blut an mir. Verdutzt musterte ich meine Füße, unter denen die Köpfe meiner Feinde wie überreife Tomaten zerplatzt waren, aber lediglich meine Fußnägel schimmerten in ihrem hellroten Lack. Zitternd setzte ich mich auf den Rand der Badewanne. Was war das für ein Alptraum gewesen? Wer war ich, verdammt noch mal? Wer war ich? Ich stand auf und sah in den Spiegel. Ein schwarzes Gesicht sah mir entgegen, umwogt von verfilzten, wirren Haaren, mit blutunterlaufenen Augen, aus dessen zähnestarrendem Mund eine geifernde Zunge hing. Ich schrie auf und brach zusammen.
»Baba, was ist dir passiert? Baba!«
»Amanda, was ist mit dir los?«
Ich fühlte mich hochgehoben und auf etwas Weiches gelegt.
»Baba, wach auf. Baba, bitte!« Ein schluchzendes Flehen zwang mich, die Augen einen Spalt zu öffnen. Patrick stand neben mir. Aber er hatte schon einmal neben mir gestanden, hatte gefleht und sich dann verwandelt. Nein, das wollte ich nicht noch einmal erleben. Ich schloss die Augen wieder.
»Amanda, komm zu dir. Amanda!«
Die Stimme war eine andere, eine, die mehr mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Noch einmal blinzelte ich. O ja, das war Ulli, der Fels in der Brandung. Auf ihn würde ich mich stützen können. Ich wollte mich zu ihm zu drehen, aber mir tat alles weh, als ich versuchte, mich zu bewegen.
»Ach, du großer Gott, was ist mit deinen Augen passiert? Bist du in eine Schlägerei geraten?«
»So was Ähnliches«, murmelte ich. »Was ist mit meinen Augen?«
»Sie sind ganz rot.«
Das durfte doch nicht wahr sein. Wieso erkannten sie mich überhaupt, mich, dieses grauenvolle schwarze Weib?
»Wo bist du gewesen? Was hat Halima mit dir angestellt? Willst du mir nicht endlich erzählen, was vorgefallen ist?«
»Lasst mich in Ruhe. Lasst mich doch endlich in Ruhe!«, schrie ich die Quälgeister an, und Patricks Stimme sagte: »Geh doch endlich raus, Ulli!«
Danach senkten sich Stille und ein gnädiges Vergessen über mich.
Am späten Nachmittag erst wurde ich wieder wach, und als ich mich schließlich traute, in den Spiegel zu schauen, fand ich eine ganz normale Amanda darin, deren einzige Veränderung darin bestand, dass ich wirklich schaurige Augen hatte. Es waren Äderchen geplatzt und hatten das Weiße leuchtend rot gefärbt.
KAPITEL 26
Das göttliche Zentrum
Als die Göttin ihren ekstatischen Tanz beendet hatte, legte sie ihre schwarze Gestalt ab und sprang in den Brunnen. Sie sank hinab bis
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