Die Herrin des Labyrints
nahmen manche Dinge viel zu wichtig. Für mich gab es keine Entscheidung zwischen Diplomarbeit und Fete mehr, und die Zeit, die notwendige Literatur zu lesen, musste ich nicht zwischen zwei Aushilfsjobs einflechten. Andererseits übte das Thema selbst irgendwie nicht mehr die Faszination auf mich aus, die es einmal hatte. Aber darüber wollte ich mir keine Gedanken machen. Ich schrieb also meine Kapitel, las meine Fachliteratur, kümmerte mich um Ulli, Patrick und Titi, tanzte bei Halima und verdrängte darüber erfolgreich für beinahe zwei Wochen das Problem meiner Abstammung.
Diesmal entlud sich diese feige Tat nicht in bösen Träumen, sondern in einer gewaltigen Detonation, die mich und meine Grundfesten mehr als erschütterte.
Halima hatte am Samstag einen größeren Auftritt im Hilton bei einem Festbankett einer Gesellschaft oder Firma, bei der aucheine Gruppe von ihren Schülerinnen auftreten sollte. Ich übte zwar mit ihnen zusammen, aber kümmerte mich natürlich nicht um den Auftritt. Doch der feuchtkalte Februar forderte seine Opfer, und am Samstagnachmittag rief mich Doro an, deren Stimme ich am Telefon kaum verstehen konnte.
»Ich bin total erkältet. Kannst du heute Abend für mich einspringen? Kannst auch mein Kostüm anziehen, wenn du keines hast.«
»Uh, Doro, du hörst dich furchtbar an. Aber es tut mir schrecklich leid, ich kann heute Abend nicht, wir sind eingeladen«, erfand ich als Ausrede.
»Oh, Mist. Afrita ist nämlich auch krank. Na ja, kann man nichts machen.«
Ich hatte kaum aufgelegt, als das Telefon wieder läutete und Halima sich meldete.
»Amanda, du hast noch eine Stimme? Wunderbar. Ich habe den Eindruck, meine ganze Truppe hat sich einen Virus zugezogen und liegt auf der Nase. Kannst du bitte heute Abend mit einspringen?«
»Halima, du weißt doch, warum ich das nicht kann!«
»In der Gruppe kannst du. Außerdem bin ich ja noch da und kann auf dich aufpassen. Es ist wirklich ein Notfall. Unmöglich, abzusagen. Der Auftrag ist wichtig für mich.«
»Ich weiß nicht, Halima.« Ich zögerte, denn plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich so weit war, endlich einmal vor Publikum zu tanzen.
»Wenn das Kostüm ein Problem ist, da kann ich dir helfen.« Ulli wollte sich am Abend mit zwei Kollegen treffen, Patrick war bei einem Freund in der Nachbarschaft, der ein neues Programm installiert hatte, ich würde vermutlich alleine vor dem Fernseher sitzen.
»Wo treffen wir uns?«
»Im Hilton, um sieben im Foyer. Danke, Amanda!«
Mir flatterten die Hände, als ich mein rotes Kleid einpackte und die Kosmetika zusammensuchte. Mir flatterte auch der Magen, als ich in die Hotelhalle trat und dort Halima und die beiden
Überlebenden Elsie und Margit traf.
»Was für ein Haufen Ärger. Ich bekomme auch einen Schnupfen«, stellte Elsie fest und nieste. »Morgen liege ich im Bett.«
»Oder du bist ihn los. Kommt, wir haben ein Zimmer, in dem wir uns umziehen und schminken können. Ihr drei tanzt als erstes in der Gruppe, dann komme ich und anschließend Elsie mit einem Solo, dann die Gruppe, und den Schluss mache wieder ich. Und jetzt versucht, euer Lampenfieber ein bisschen unter Kontrolle zu bringen, die Leute werden euch schon nicht fressen.«
Wir packten unsere Sachen aus, und in kürzester Zeit sah das Zimmer aus, als ob ein ganzer Harem in Hektik geraten sei. »Wer sind die Leute, vor denen wir tanzen?«, fragte ich.
»Eine Gesellschaft für angewandte Mathematik, aber frag mich nicht nach deren Sinn und Zweck, Mathematik beschränkt sich bei mir auf das Zusammenzählen der Trinkgelder!«, meinte Elsie und nieste noch einmal.
»Das ist zumindest eine sinnvolle Anwendung«, meinte ich. »Also vornehmlich Männer, oder haben die auch ihre Gattinnen zum Bankett geladen?«
»Keine Ahnung. Himmel, was für ein Kostüm!«
Alle vier drehten sich um, als ich die rotgoldene Flamme aus dem Kleidersack zog. Halima sah es sich kritisch an und nickte dann.
»Das passt zu dir.«
»Bist du sicher? Ich fühle mich ziemlich fremd darin.«
»Du wirst schon noch reinwachsen.«
»Wenn du meinst.«
Elsie kicherte: »Und wenn nicht, gibt es ja noch Push-ups«, und schob sich dieselben in den BH, um ihr Dekolleté aufzupeppen.
»Mogelpackung«, grinste Margit, die mit eigener Üppigkeit gesegnet war.
»Oh, Amanda, du brauchst noch einen Namen. Wie sollen wir dich ankündigen?«
»Als Amanda, langt das nicht?«
»Und jetzt kommen Elsie, Margit und Amanda mit einem orientalischen Tanz
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