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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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nur einen kurzen weißen Schurz, und das Haar flatterte ihm um den Hals. Er mußte gespürt haben, daß ich ihn musterte, denn er drehte sich um, sah mich und kam mit großen Schritten über das Deck. „Du hast gut geschlafen“, meinte er. „Eine Nacht auf dem Fluß, und schon siehst du besser aus. Dein Gesicht wirkt nicht mehr ganz so angespannt. Komm und speise unter dem Sonnensegel. Das Essen ist nicht viel anders als gestern, aber wir reisen nicht weit, und heute Abend bekommst du etwas Warmes.“ Ich folgte ihm um die Kabine herum, wo das Sonnensegel einen großen Schatten warf, machte es mir auf den Polstern darunter gemütlich und versuchte herauszufinden, wohin die Reise ging. Isis näherte sich, verbeugte sich und verteilte die Schüsseln, und da kam mir eine Idee.
    „Isis, versuche die Rolle aufzutreiben, die ich von dem Landvermesser bekommen habe“, sagte ich. „Die bringst du mir. Ich will unser Ziel erraten“, fuhr ich an Kamen gewandt fort. „Auf dieser Liste steht alles, was zum Verkauf angeboten wird. Wenn wir nicht weit fahren, müßte ich dir eigentlich sagen können, wo sich mein neues Heim befindet. Aber, Kamen, Anwesen in der Nähe des Deltas sind begehrt und sehr teuer. Die meisten werden ohnedies vererbt. Wem verdanke ich mein Silber? Und ich bin böse, daß man mir nicht erlaubt hat, selbst zu wählen.“ Ich griff zu dem Bier, das Isis mir eingeschenkt hatte, trank einen großen Schluck und biß in ein Stück Käse.
    „Ich habe dir gesagt“, antwortete Kamen nachsichtig, aber bestimmt, „daß du mir vertrauen mußt. Wenn du von dem, was man für dich verfügt hat, nicht begeistert bist, bringe ich dich zurück in Mens Haus, und dann können wir uns über deine Liste den Kopfzerbrechen.“
    „Wenigstens scheint es nicht nach Aswat zu gehen“, murrte ich. „Für eine so lange Reise ist dieses Schiff nicht geeignet.“
    Ich nahm die Rolle, die Isis mir hinhielt, und entrollte sie. Der Landvermesser hatte die Anwesen nach den Distrikten geordnet, in denen sie lagen. Ich überging alles südlich von Fayum. An mehreren aufgelisteten Besitztümern waren wir bereits vorbeigekommen, und in Fayum selbst stand nichts zum Verkauf. Das überraschte mich nicht. Die Oase war üppig und wunderschön, mit vielen Obst- und Weingärten, und ihr Boden war schwarz und fruchtbar. Das meiste gehörte dem Königshaus, und um den Rest kümmerten sich die Verwalter des Adels.
    „Es muß sich irgendwo zwischen dem Eingang zum See und unserer augenblicklichen Position befinden“, meinte ich und reichte Kamen die Rolle. „Da kommen nur zwei Anwesen in Frage, und eins geht nicht bis an den Fluß. Darum muß es das andere sein.“ Kamen nahm den Papyrus, ließ ihn aufrollen, ohne ihn anzusehen, und gab ihn mir zurück. Er kniff die Augen zusammen und grinste.
    „Du bist eine kluge Frau“, neckte er mich. „Wenn du herausfindest, wohin wir fahren, kümmere ich mich höchstpersönlich ein ganzes Jahr lang um deinen Garten.“
    „Dann mußt du dir sehr sicher sein, daß ich es nicht errate“, sagte ich und lachte, doch ich kam und kam nicht dahinter und rätselte für den Rest des Tages daran herum.
    Abends legten wir kurz in einer schmalen, sandigen Bucht an, damit sich die Ruderer ausruhen konnten. Sie machten am Ufer ein Feuer und schwammen und saßen später im Schein der Glut, tranken Bier und unterhielten sich. Kamen leistete ihnen Gesellschaft.
    Ich saß im friedlichen Zwielicht mit einem Becher Wein auf dem Schoß an Deck, lauschte auf das gelegentliche, schallende Gelächter meines Sohnes und spürte, wie Körper und Herz allmählich eins wurden, ein Gefühl, das ich bislang nicht gekannt hatte. Und ich schien nicht nur mit mir selbst eins zu werden, sondern auch mit meiner Umgebung. Gedanken und Gefühle verschmolzen mit dem Duft der Zedernholzplanken unter meinen Füßen, dem sachten Plätschern des Flusses auf der Sandbank und dem Rascheln der scheuen Kreaturen im Unterholz und den hellen Sternen über mir. Ich hatte mich an die Hintergrundgeräusche des Haremslebens gewöhnt. Aber selbst nachts, wenn die Frauen und ihre Kinder und Dienerinnen friedlich waren, machte sich die Stadt als fernes Grollen bemerkbar.
    Doch ich war auf dem Land aufgewachsen. Ich hatte das Land im Blut, und heute Abend rief es erneut, flüsternd und einschmeichelnd. In meiner Jugend hatte ich mich danach gesehnt, dem harten, arbeitsreichen Leben und dem unvermeidlichen Unwissen zu entfliehen, das die jungen Mädchen

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