Die Herrin von Avalon
sitzen.
Ich wünschte, er wäre hier , dachte Viviane. Ich wünschte, jeder Mann könnte sehen, was eine Frau durchmacht, um ihm, dem Vater, ein Kind zu schenken .
Die Wehen folgten immer schneller aufeinander. Ana blieb kaum noch die Zeit, nach Luft zu ringen, bevor sie sich wieder vor Schmerzen aufbäumte. Elen hielt eine ihrer Hände, Viviane nahm die andere, und Julia tastete von neuem zwischen ihren Schenkeln.
»Wird es noch lange dauern?« flüsterte Viviane, als ihre Mutter stöhnte.
Julia zuckte die Schultern. »Alles hat seine Zeit. Jetzt öffnet der Körper die Gebärmutter und bereitet sich darauf vor, das Kind auszustoßen. Ruhig, Herrin ... « sagte sie zu Ana und massierte ihr wieder mit leichten rhythmischen Bewegungen den Leib.
»O Göttin ... « flüsterte Ana. »Göttin, hilf mir ... bitte! «
Viviane fand diese Geburt entwürdigend. Sie beugte sich vor und murmelte angstvoll ermutigende und beruhigende Worte, ohne jedoch genau zu wissen, was sie sagte. Die schmerzgeweiteten Augen ihrer Mutter hatten sich unverwandt auf sie gerichtet.
Plötzlich schienen sie sich zu verändern. Einen Augenblick wirkte Ana jung; ihr langes, schweißnasses Haar umgab ihren Kopf wie mädchenhafte Locken.
»Isarma!« flüsterte sie. »Hilf mir und dem Kind!«
Und wie ein Echo kam die Antwort über Vivianes Lippen. » Möge die Frucht unseres Leibes DIR bestimmt und geweiht sein, o Mutter, o ewige Frau, die DU das innerste Leben jeder DEINER Töchter zwischen den Händen in ihrem Herzen hältst .«
Viviane blickte in das blasse Gesicht vor sich und wußte, daß Ana es gehört hatte. In diesem Augenblick waren sie nicht Mutter und Tochter, sondern Frauen, Schwesterseelen, die seit einer Zeit noch vor der Ankunft der Wissenden auf der Insel von Leben zu Leben aneinander und an die Große Mutter gebunden waren.
Mit der Erinnerung stellte sich Wissen ein, das Viviane in einem anderen Tempel gelernt hatte, in dem die Kenntnis um die Geburt sehr viel umfassender war als alles, was die Frauen von Avalon wußten. Mit der freien Hand zeichnete sie das Siegel des Leben auf den gebärenden Leib.
Ana lehnte sich mit einem tiefen Seufzen zurück, und Viviane, deren Bewußtsein sich mit unvermittelter Direktheit wieder meldete, empfand flüchtig panische Angst. Doch dann schlug ihre Mutter die Augen auf. In ihnen erkannte sie eine neue Entschlossenheit.
»Zieht ... mich ... hoch!« stieß Ana zwischen den Zähnen hervor. »Es ist soweit!«
Julia gab schnelle, knappe Anweisungen. Sie halfen Ana, die Beine über den Bettrand zu schwingen und in die Hocke zu gehen, während Elen und Viviane im Stroh knieten und sie stützten. Julia breitete schnell ein frisches Tuch auf den Fußboden.
Ana stöhnte und preßte mit aller Macht. Sie festzuhalten schien wie der Versuch, eine Naturgewalt zu bändigen. Julia ermutigte sie und rief, sie könne den Kopf des Kindes sehen. Noch einmal pressen und es werde dasein.
Viviane spürte das Aufbäumen im Körper ihrer Mutter. Sie beschwor mit ihrer ganzen Kraft die Göttin, holte tief Luft und spürte, wie sich schlagartig eine gleißende Hitze in ihr ausbreitete, als habe sie Feuer eingeatmet. Licht schoß durch ihre Glieder. Die Kraft war so groß, daß sie jedes menschliche Maß gesprengt hätte. Doch in diesem Augenblick war sie die Große Mutter, die die Welt gebar.
Beim Ausatmen zuckte die göttliche Kraft mit der Gewalt eines Blitzes aus ihr heraus und durch den Körper der Frau, die sie festhielt. Ana überließ sich ihr mit einem entfesselten Aufschrei, den man bis Inis Vitrin hören konnte, und ein feuchtes, rotes, zappelndes Wesen glitt in die Hände der Hebamme.
Ein Mädchen ...
In der plötzlichen Stille blickten sie alle auf das neue Leben, das gerade in die Welt gekommen war. Dann drehte das Kind den winzigen Kopf, und ein schwaches, wimmerndes Schreien gab Kunde von dem neuen Leben.
»Was für ein hübsches Mädchen«, murmelte Julia. Sie säuberte das winzige Gesicht mit einem weichen Tuch und hielt das Neugeborene hoch, damit das Blut aus der Nabelschnur lief.
»Elen, du stützt die Herrin; Viviane, hilf mir.«
Viviane wußte, was sie zu tun hatte, doch ihre Hände zitterten, als sie die Nabelschnur mit zwei Lederriemen abband. Das Stück zwischen den Riemen wurde schlaff, und sie durchtrennte es mit einem Messer.
»Gut. Jetzt kannst du die Kleine halten. Ich übernehme das mit der Nachgeburt. Das Tuch für die Kleine liegt dort auf dem Tisch.«
Viviane wagte kaum
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