Die Herrin von Avalon
wenig von Frauen. Aber neues Leben ist doch bestimmt ein Grund zur Freude, noch dazu, weil sein Kommen eine Art Wunder ist. Deine Mutter wird sicherlich deine Hilfe brauchen, um es heranzuziehen. Wirst du dich über das Gewicht eines süßen Kindes in deinen Armen nicht freuen?«
Diese Frage stellte sich Viviane jetzt selbst. In ihrem Groll hatte sie überhaupt nicht an das Kind gedacht. Das arme Ding. Wieviel Zeit würde die Herrin haben, es zu bemuttern? Das Kind würde sie brauchen, selbst wenn Ana keine Zeit für es haben würde. Vater Fortunatus war ein seltsamer alter Mann, aber nach dem Gespräch mit ihm fühlte sie sich besser. Sie sah sich prüfend um und überlegte, wie sie den Weg aus dem Feenland finden könnte. Sie bemerkte, daß sich das seltsame silbrige Schimmern zu einem purpurnen dämmrigen Schein verdunkelte, in dem Funken von Feenlicht aufblitzten.
»Du hast recht. Es ist Zeit, in die Welt zurückzukehren«, sagte der Mönch.
»Wie findest du den Weg?«
»Siehst du diesen Stein dort? Er ist so alt, daß er sowohl hier als auch auf der Insel der Vögel liegt. Wenn ich mich auf ihn stelle, kann ich ein Stück weit ins Feenland gelangen. Ich glaube, es gibt viele solche Kraftpunkte, wo die Schleier zwischen den Welten dünn sind. Wenn ich sonntags die Messe gelesen habe, komme ich hierher, um Gott und seine Schöpfung zu preisen, denn wenn er der Schöpfer aller Dinge ist, hat er bestimmt auch diesen Platz geschaffen.« Er lachte glücklich. »Ich kenne keinen schöneren. Du kannst mit mir zurückgehen. Auf der Insel Briga leben fromme Frauen, die dich aufnehmen werden ... «
Das ist die Möglichkeit, nach der ich mich immer gesehnt habe , dachte Viviane. Ich kann fliehen und meinem eigenen Weg in der Welt folgen.
Doch sie schüttelte den Kopf. »Ich muß nach Hause zurück. Vielleicht finde ich eine andere Stelle, an der die Schleier dünn sind.«
»Gut, aber vergiß den Stein nicht. Du bist immer willkommen, wenn du mich brauchst.«
Der alte Mann stand auf, hob die Hände zum Segen, und Viviane verneigte sich, um ihn zu empfangen, als sei Vater Fortunatus ein Druide.
Göttin, führe mich , dachte sie, als er in der Dämmerung entschwand. Es war sehr mutig von mir, das zu sagen. Dabei habe ich keine Ahnung, in welche Richtung ich gehen soll .
Sie stand auf, schloß die Augen und stellte sich die Insel Avalon vor, die in purpurnes Abendlicht getaucht war. Im Wasser brach sich der letzte rosige Schein, der den Himmel im Westen überzog. Als sie ihre Gedanken zur Ruhe gebracht hatte, fielen die ersten Töne wie silberner Regen in die Stille. Sie waren von einer beinahe überirdischen Schönheit. Doch hin und wieder geriet die Musik ins Stocken. In diesen Augenblicken menschlicher Unvollkommenheit wußte Viviane, daß sie nicht die Musik der Feen hörte, sondern das Lied eines Harfenspielers, dessen Wohlklang sich über alles Menschliche erhob.
Der Himmel im Feenland war niemals ganz hell oder strahlend blau, aber es wurde dort auch nie völlig dunkel. Viviane konnte sich im Dämmerlicht zurechtfinden und näherte sich langsam der Musik. Inzwischen war sie lauter geworden und wurde zu einem so klagenden Rufen, daß Viviane am liebsten geweint hätte. Nicht nur die Akkorde schmerzten sie in der Seele, sondern auch die Sehnsucht, die darin schwang. Wer immer spielen mochte, er sang sein Leid, sein Sehnen über Hügel und Wasser und rief damit den Wanderer nach Hause.
» Der Winterschnee war weiß und schön .
Aber ach, geschmolzen ist er traurig anzusehn.
Aufgelöst in Tau
ist die Erde feucht und rauh.
Gewiß, er kommt erneut ,
doch nie mehr so schön und rein wie heut .«
Viviane folgte der Musik und befand sich schließlich auf einer Wiese, wo der erste abendliche Dunst von der feuchten Erde aufstieg. In einiger Entfernung ragten die vertrauten Umrisse des Tors dunkel in den Himmel. Doch ihr Blick richtete sich auf einen Punkt in der Nähe. Auf einem verwitterten grauen Stein saß Taliesin und spielte Harfe.
» Frühlingsblüten waren weiß und schön.
Aber ach, verwelkt wie traurig anzusehn .
Abgefallen und verweht über das Land,
damit die Frucht werde zum reifen Stand .
Gewiß, sie mögen blühen erneut ,
doch nie mehr so schön und zart wie heut .«
Wenn Taliesin Harfe spielte, waren die Bilder, die er mit seiner Musik heraufbeschwor, so lebendig, daß er überzeugt war, sie berühren zu können, wenn er die Finger von den Saiten nehmen würde.
Zuerst schien die junge Frau, die
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