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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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abends abkühlte. Als sie jedoch die Sonne zuletzt gesehen hatte, war es mitten am Nachmittag. Nun umgab sie ein silbriges Licht, das aus keiner erkennbaren Richtung kam.
    Viviane blieb stehen und sah sich um. Es hieß, Avalon sei an einen Ort entrückt worden, der sich auf halbem Weg zwischen der menschlichen Welt und dem Feenland befinde. Wer die geheimen Worte kannte, durchquerte die Nebel und erreichte das Land der Menschen. Von Zeit zu Zeit geschah etwas Unvorhergesehenes, und ein Mann oder eine Frau verlor sich im Reich der Fee.
    Es wäre klüger von meiner Mutter gewesen , dachte sie, während der Schweiß feuchtkalt auf ihrer Haut stand, sie hätte mich versuchen lassen, die Nebel aus der anderen Richtung zu durchqueren . Der Dunstschleier wurde dünner. Viviane machte einen Schritt vorwärts und blieb wie angewurzelt stehen. Die Hügelkuppe, die sie erblickte, war üppig grün bewachsen, und im Gras blühten unbekannte Blumen. Es war schön hier, aber sie kannte diesen Hügel nicht.
    Auf der anderen Seite sang jemand. Viviane runzelte die Stirn. Die Stimme klang angenehm, auch wenn sie Mühe hatte, den Ton zu halten. Vorsichtig ging sie weiter, schob ein paar hohe Farnwedel beiseite und blickte durch die entstandene Öffnung. Zwischen den Blumen saß ein alter Mann. Seine Haare waren wie die eines Druiden am Vorderkopf ganz kurz geschnitten, doch er trug ein schlichtes dunkles Wollgewand, und auf seiner Brust hing ein Holzkreuz. In ihrer Verblüffung mußte sie ein Geräusch gemacht haben, denn er hob verwundert den Kopf, sah sie und lächelte.
    »Sei gesegnet, meine Schöne«, sagte er leise, als fürchte er, sie könnte sich in Luft auflösen.
    »Was machst du hier?« fragte sie und ging zu ihm.
    »Das könnte ich dich auch fragen«, erwiderte er nach einem Blick auf ihre zerkratzten Beine und die Schweißperlen auf ihrer Stirn. »Du siehst zwar aus wie jemand vom Volk der Feen, doch ich glaube, du bist ein sterbliches Mädchen.«
    »Du kannst sie sehen?« rief Viviane.
    »Diese Gabe ist mir gewährt. Obwohl meine Glaubensbrüder mich warnen und sagen, die Feen seien böse Geister oder Trugbilder, kann ich nicht glauben, daß so schöne Wesen böse sein sollen.«
    »Nach allem, was ich über euch gehört habe, mußt du ein sehr ungewöhnlicher Mönch sein«, erwiderte Viviane und setzte sich neben ihn ins Gras.
    »Da hast du recht. Ich kann mir nicht helfen, ich glaube, unser Pelagius hatte die richtige Einsicht, als er predigte, daß ein Mann, der tugendhaft und mit allen Wesen in Frieden lebt, den Himmel auf Erden findet. Ich habe den Namen Fortunatus angenommen, als Bischof Agricola mich zum Priester weihte. Er hielt die Lehre des Augustinus, die besagt, daß wir alle als Sünder geboren werden und nur hoffen können, durch eine Laune Gottes gerettet zu werden, für Häresie. In Rom denkt man allerdings anders darüber, und deshalb werden wir hier in Britannien verfolgt. Die Brüder auf Inis Vitrin haben mich aufgenommen und mir die Betreuung der Kapelle auf der Insel der Vögel übertragen.«
    Er lächelte. Dann hob er die Hand und wies auf etwas hinter ihr.
    Viviane drehte langsam den Kopf. Der irisierende Schimmer, der aus einem Holunderbusch auftauchte, entpuppte sich als schlanke Gestalt. Sie war bekränzt mit weißen Blüten und trug ein fließendes Gewand aus glänzendem blauschwarzen Stoff.
    »Gute Fee, ich grüße dich«, murmelte Viviane mit gesenktem Kopf und hob die Hände zum rituellen Gruß.
    »Hier ist ein Mädchen vom alten Blut, Schwestern. Wir wollen sie willkommen heißen!« Während die Fee sprach, erfüllte plötzlich ein Schwarm munterer Wesen in Gewändern von hundert Farben die Luft. Sie tanzten um Viviane herum, und ihre Haut prickelte unter der Liebkosung daunenzarter Hände. Im nächsten Augenblick verschwanden sie unter glockenhellem Gelächter.
    »Ach so! Jetzt verstehe ich. Du kommst von der anderen Insel, von Avalon.« Vater Fortunatus nickte.
    Sie nickte ebenfalls. »Ich heiße Viviane.«
    »Es heißt, Avalon sei eine gesegnete Insel«, sagte er freundlich. »Wie kommt es, daß du einfach davongelaufen bist?«
    »Ich war wütend. Meine Mutter ist schwanger, und das in ihrem Alter. Außerdem versucht sie immer noch, mich wie ein Kind zu behandeln!« Viviane schüttelte den Kopf; es fiel ihr schwer, sich daran zu erinnern, weshalb sie sich so darüber geärgert hatte.
    Vater Fortunatus öffnete die Augen. »Ich habe kein Recht, dir einen Rat zu geben, denn ich verstehe

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