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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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wieder etwas gewachsen. Wenn sie es lange genug ausschüttelte, war es schnell trocken. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, es kurz zu tragen, und an Tagen wie diesem empfand sie es als sehr angenehm, vom Gewicht der langen Haare befreit zu sein. Sie breitete ihr Gewand ins Gras, legte sich darauf und ließ ihren Körper von der Sonne bräunen.
    Ihre Mutter saß auf einem Baumstumpf im Schatten. Sie hatte den Kopf zurückgelegt, damit die Sonne ihr Haar nach dem Bad trocknen konnte, während Julia es auskämmte.
    Die Herrin trug ihr Haar üblicherweise auf dem Kopf aufgesteckt, doch wenn es gelöst war, fiel es ihr bis über die Hüften. Der Kamm hob einzelne dunkle Strähnen hervor und ließ beim Auskämmen jedesmal einen rötlichen Glanz wie Flammenzungen bis zu den Spitzen laufen.
    Viviane beobachtete mit zusammengekniffenen Augen unauffällig ihre Mutter, die sich genußvoll wie eine Katze reckte und streckte. Sie hatte Ana immer für klein und häßlich gehalten, für eckig und kantig. Sie legte stets die Stirn in Falten - außer natürlich, wenn sie in den Ritualen die Schönheit der Göttin zur Schau trug. Doch jetzt war Ana keineswegs häßlich.
    Sie erinnerte an eine kleine Venus; ihr Körper schien aus altem Elfenbein geschnitzt; sie hatte einen glatten Bauch, in den die silbernen Narben der Geburten eingeritzt waren, und hohe, feste Brüste. Sie wirkte fast glücklich. Neugierig richtete Viviane ihren Blick nach innen, so wie sie es gelernt hatte, und sah Anas Aura als hellen rosa Schimmer. Am hellsten war er über dem Bauch. Kein Wunder, daß sogar bei normalem Blick ein Leuchten von ihr auszugehen schien.
    Viviane überlegte. Ihr kam plötzlich ein Verdacht, der sie empörte. Sie stand auf und zog das Gewand hinter sich her durch das Gras. Sie ging zu ihrer Mutter.
    »Dein Haar ist wunderschön«, sagte sie, als beabsichtige sie, sich mit ihr zu unterhalten. Ana öffnete die Augen und lächelte.
    Vivianes Gewißheit nahm zu. Es hatte sich eindeutig etwas verändert. »Aber schließlich hattest du auch lange Zeit, es wachsen zu lassen. Du warst fünfzehn, als du zur Priesterin geweiht worden bist, nicht wahr? Und ein Jahr später hast du dein erstes Kind bekommen«, fügte sie nachdenklich hinzu. »Ich bin schon neunzehn. Findest du nicht, es ist Zeit für meine Einweihung, Mutter, damit auch ich anfangen kann, mir die Haare wachsen zu lassen?«
    »Nein.« Ana veränderte ihre Haltung nicht, doch in ihrem Körper war eine deutliche Spannung erkennbar.
    »Wieso nicht? Ich bin bereits die älteste Novizin im Haus der Jungfrauen. Bin ich dazu ausersehen, die älteste Jungfrau in der Geschichte Avalons zu werden?«
    Ana setzte sich langsam auf. Der einsetzende Zorn hatte noch nicht über ihr Wohlwollen gesiegt. »Ich bin die Herrin von Avalon, und es ist an mir zu entscheiden, wann du bereit bist!«
    »Welche Lektion habe ich nicht gelernt? Bei welcher Aufgabe habe ich versagt?«
    »Gehorsam hast du nicht gelernt!« Die dunklen Augen funkelten, und Viviane spürte die Macht ihrer Mutter wie einen heißen Windstoß.
    »Ach wirklich?« Viviane war jetzt zu allem entschlossen und setzte auf die eine Waffe, die ihr blieb. »Oder wartest du nur darauf, daß ich entbehrlich bin, wenn du das Kind geboren hast, das du im Leib trägst!« Sie sah, wie ihre Mutter errötete, und wußte, daß es stimmte. »Du solltest dich schämen, in einem Alter, in dem ich dich zur Großmutter machen müßte, selbst noch einmal schwanger zu sein!«
    Das hätte höhnisch klingen sollen, doch selbst sie hörte, daß es mißmutig klang. Nun wurde Viviane über und über rot. Ana begann triumphierend zu lachen; Viviane drehte sich erbost um. Das Lachen ihrer Mutter verfolgte sie wie ein Fluch, als sie zornig davonrannte.
    Nach dem Sommer und der vielen Arbeit war Viviane abgehärtet und in guter körperlicher Verfassung. Es war ihr gleichgültig, wohin sie ging. Ihre Füße trugen sie am Ufer entlang und immer weiter weg vom Tor.
    Die Wärme des Sommers hatte große Teile des Marschlandes ausgetrocknet. Bald war sie so weit von Avalon entfernt wie nie seit dem Tag ihrer Ankunft. Trotzdem lief sie weiter.
    Sie hielt nicht vor Erschöpfung an, sondern weil plötzlich vor ihr Nebel aufstieg, der das Licht schluckte. Viviane verlangsamte mit klopfendem Herzen ihren Schritt. Sie sagte sich, es sei nur ein Landnebel, der in der Hitze aus dem sumpfigen Grund aufgestiegen war. Diese Art Nebel bildete sich üblicherweise, wenn die Luft

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