Die Herrin von Rosecliffe
sie weitere Anweisungen. »Louis, kümmere dich um das Pferd. Merydydd, sag den Näherinnen, dass das Stickgarn in der Färberei fast fertig ist und nur noch trocknen muss. Morgen werden sie es voraussichtlich benutzen können ... «
Osborn schüttelte amüsiert den Kopf, drehte sich um und beobachtete, wie das massive Eisentor zwischen den beiden Wachtürmen geöffnet wurde und die Spielleute sich anschickten, die Zugbrücke zu überqueren. Der Riese führte das Pferd, auf dem der Zwerg und der alte Mann saßen. Der vierte Bursche hatte ein
Bündel und -seine Laute auf dem Rücken und trug ein geflecktes Hündchen.
Der Ritter kratzte sich am Kopf, wo die Haare sich in den letzten Jahren bedenklich gelichtet hatten, und dachte, dass er mit zunehmendem Alter offenbar überängstlich wurde und Gefahren witterte, wo es keine gab. Entschlossen kehrte er den Besuchern den Rücken zu und setzte seine Runde auf dem Wehrgang fort.
Deshalb sah er nicht, wie genau der Bärtige mit der Laute unter seinem ausgefransten Strohhut hervor alles in Augenschein nahm: die Festungsmauern, die Wachposten auf dem Wehrgang, die Soldaten am Tor ... Wäre der lauernde Blick des scheinbar harmlosen Spielmanns Osborn aufgefallen, so hätte er das Tor schleunigst wieder schließen lassen ...
Es war zehn Jahre her, seit Rhys ap Owain sich zuletzt in Rosecliffe aufgehalten hatte. Damals hatte er zähneknirschend zugestimmt, dass Rhonwen schwer verletzt in die Burg gebracht wurde, weil es der einzige Ort war, wo sie geheilt werden konnte. Seine verräterische Jugendfreundin hatte Jasper Fitz Hugh geheiratet, und Rhys war in die Verbannung geschickt worden -nach Northumbria im äußersten Norden von England, wo man ihn gezwungen hatte, die englische Lebensweise zu lernen.
Nun, er hatte sie gelernt, besser als die Fitz Hughs vermuteten, und jetzt würde er dieses Wissen benutzen, um sie zu besiegen. Und die verwöhnte Isolde würde als Erste seine Rache zu spüren bekommen...
Nach außen hin gab er sich lässig, während er den großen Innenhof durchquerte, aber jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Er hatte sich Zugang zum Bau seiner erbittertsten Feinde verschafft, und es war geradezu lachhaft einfach gewesen.
Jetzt galt es die Burg zu erobern - oder zu sterben ...
Die Glocken läuteten zur Vesper, und Isolde schnitt eine Grimasse. Das nächste Läuten würde das Abendessen ankündigen, und es war höchste Zeit ihre Arbeit zu beenden. Seufzend trat sie zurück und begutachtete ihr Werk. Mit einem spitzen Kohlestift hatte sie zuerst die traditionellen walisischen Muster an die vier Enden des Kreuzes gezeichnet: Himmel, Erde, Feuer und Wasser - die Geschenke Gottes an die Menschen. Danach hatte sie sich ans Ausmalen gemacht. Alles, was rot und blau werden sollte, war fertig. Sie musste jetzt nur noch Gelb und Grün verwenden. Ihr Handgelenk schmerzte, weil sie den Pinsel immer zu fest umklammerte, um keine Fehler zu machen, und sie hatte einen steifen Nacken. Trotzdem hätte sie 'das Kruzifix am liebsten n och an diesem Abend vollendet doch als Burgherrin fühlte sie sich verpflichtet an allen Mahlzeiten teilzunehmen, obwohl das manchmal sehr lästig war.
Magda steckte ihren Kopf zur Tür herein. »Wollt Ihr vor dem Abendessen baden, Mylady?« Sie beantwortete ihre Frage selbst nachdem sie einen flüchtigen Blick auf Isolde geworfen hatte. »ja, Ihr braucht ein Bad und solltet Euch lieber etwas beeilen. Ihr habt doch nicht vergessen, dass heute Abend die Spielleute für unsere Unterhaltung sorgen werden?«
»Ach ja, die Spielleute ... « Isolde riss sich von ihren künstlerischen Visionen los und war plötzlich wieder neugierig auf den attraktiven Lautenspieler. »Ich wasche nur noch schnell die Pinsel aus und nehme dann ein Bad. Leg bitte mein blaues Kleid zurecht.«
Kurz vor dem Abendessen betrat sie - sauber, hübsch angezogen, mit glänzend gebürsteten Haaren die Halle und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war. Ihre Mutter hatte die Dienstboten so gut ausgebildet dass der Haushalt wie am Schnürchen lief. Nur Isoldes außerplanmäßige Projekte stifteten Verwirrung. Doch sie konnte mit den bisherigen Ergebnissen ihrer Bemühungen sehr zufrieden sein. Die neuen Vorhänge sahen großartig aus. Und wenn der große Wandbehang mit dem Emblem ihres Vaters einem Wolf, umgeben von einem Rosenkranz - fertig war, wurde die Halle seiner Würde endlich gerecht werden. Vielleicht sollte sie aber noch die kahle Wand über der
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