Die Herrin von Rosecliffe
Pläne in die Tat umzusetzen. Randolf Fitz Hugh liebte seine Kinder abgöttisch, das war allgemein bekannt. Schon einmal hatte Rhys versucht diese Schwäche seines Feindes auszunutzen, aber es war ihm damals nicht gelungen. Doch jetzt war er zehn Jahre älter, zehn Jahre klüger, zehn Jahre entschlossener, endlich Rache zu üben.
Zuerst würde er Isolde Fitz Hugh erobern, dann die Burg, und schließlich würde er ihren Vater und Onkel töten - und alle anderen, die sich ihm in den Weg zu stellen versuchten.
Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die trutzige Festung auf dem Hügel. Zweimal war er im Verlies von Rosecliffe Castle eingesperrt gewesen. Dieses Mal würde er sich nicht als Gefangener dort aufhalten, sondern als freier Mann - und nach kurzer Zeit als Burgherr.
Am nächsten Morgen saß Isolde im Schneidersitz auf ihrem Bett und bürstete ihre langen Haare. Normalerweise musste sie dieses breite Bett mit Gwen und Elyssa teilen, und oft hatte sie sich nach einem eigenen Schlafzimmer gesehnt. Als sie noch vor Sonnenaufgang erwacht war, hatte sie sich in die Mitte des Bettes gerollt ausgiebig gestreckt und den vielen freien Platz genossen. Aber sie hatte keinen Schlaf mehr gefunden, weil ihr die vertrauten Geräusche fehlten. Keine Schritte von Dienstboten auf den Treppen und Korridoren. Kein gedämpftes Gemurmel aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern, das sich direkt über ihrem befand.
Rosecliffe Castle kam ihr fast ausgestorben vor.
Aber sie wollte nicht wie am Vortag Trübsal blasen. Für den nächsten Monat war sie die Burgherrin, und sie würde ihre Pflichten ab jetzt gewissenhaft erfüllen, nahm sie sich fest vor.
Isolde träufelte einige Tropfen kostbares Lavendelöl auf ihre, silberne Bürste, weil sie größten Wert darauf legte, dass die dichten kastanienbraunen Locken gut rochen. Diese Haarpracht war ihr ganzer Stolz, während sie ihre feinen Gesichtszüge und ihre Statur - mittelgroß, schlank, ohne üppige Kurven - ziemlich durchschnittlich fand.
Als das erste Morgenlicht durch das schmale Fenster ins Schlafzimmer einfiel, hatte sie die Haare zu zwei langen dicken Zöpfen geflochten, verziert mit grünen Bändern und bunten Glasperlen. Sie zog ein schlichtes hellgrünes Kleid an und schlang einen dunkelgrünen Gürtel um ihre Wespentaille. Jetzt fehlte nur noch der Schlüsselbund ihrer Mutter, der Isolde als zeitweilige Herrin von Rosecliffe ausweisen würde.
An dem großen Messingring hingen viele Schlüssel aus Eisen und Messing, einige mit eingravierten geometrischen Mustern, andere völlig schmucklos. Wer sie besaß, hatte Zugang zur Gewürzkammer, zum Getreidespeicher, zum Weinkeller und anderen wichtigen Lagerräumen.
Mit einem stolzen Lächeln hakte Isolde den Schlüsselbund an ihrem Gürtel fest. Sie würde zwar nicht sehen können, wie der neue König in London gekrönt wurde, doch dafür war sie jetzt die Herrscherin in ihrem eigenen kleinen Königreich. Wenn ihre Eltern von der Reise zurückkehrten, würden sie die Burg kaum wiedererkennen ...
Die Dienstboten, die sich auf eine geruhsame Zeit gefreut hatten, wurden sehr schnell eines Besseren belehrt. Odo, der Haushofmeister, flüchtete ins Büro, Osborn in die Stallungen. Doch für alle anderen gab es kein Entkommen vor den Befehlen der jungen Herrin von Rosecliffe. Ihre Mutter hatte den Haushalt perfekt organisiert und an der Sauberkeit und Ordnung konnte Isolde nichts bemängeln. Deshalb konzentrierte sie ihre ganze Kraft auf die Verschönerungen, die ihr schon so lange am Herzen lagen.
Große Stoffballen wurden aus dem Lager angeschleppt: roter Damast grüne Wolle, feines gestreiftes Leinen. Bewalda, die erste Näherin, protestierte energisch. »Eure Mutter wollte aus diesen Stoffen Bettvorhänge für die Hochzeiten ihrer Töchter anfertigen lassen.«
»Nachdem zur Zeit aber keine Hochzeiten geplant sind, werden wir die Stoffe stattdessen für neue Vorhänge in der Halle verwenden«, erklärte Isolde selbstsicher.
Die ältere Frau runzelte die Stirn. »Und was wollt Ihr mit dieser Goldborte? Sie war als Verzierung für einen Waffenrock Eures Vaters oder Bruders bestimmt.«
»Sie eignet sich aber auch hervorragend als Verzierung eines neuen Wandschirms hinter dem Ehrentisch«, konterte Isolde.
Bewalda machte sich schließlich murrend ans Werk. Am Abend war Isolde ziemlich erschöpft von den Diskussionen mit störrischen Dienstboten, aber auch zufrieden, weil sie ihren Willen in allen Fällen durchgesetzt hatte. Beim
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