Die Herrschaft Der Seanchane
linke Wange spannte. Sie war die Windsucherin der Herrin der Schiffe gewesen, bevor Nesta din Reas auf diesen Posten gewählt wurde. Ihren Gesetzen zufolge musste die Windsucherin der Herrin der Schiffe oder einer jeweiligen Herrin der Wogen nach deren Tod jedoch wieder ganz unten anfangen. Aber Nynaeve war davon überzeugt, dass hier mehr als nur der Respekt für Senines frühere Stellung dahintersteckte.
Neben Senine saß Rainyn, eine junge Frau mit apfelroten Wangen, die ebenfalls auf einem Schweber fuhr. Und neben Shielyn saß die steingesichtige Kurin wie eine schwarze Statue. Das verwies Caire und Tebreille auf die Stühle ganz außen. Die beiden waren ebenfalls Windsucherinnen von Herrinnen der Wogen, mit vier dicken Ohrringen in jedem Ohr und fast so vielen Medaillons wie Zaida sie hatte. Aber vielleicht wollte man die beiden Schwestern mit den hochmütigen Blicken auch nur voneinander fern halten. Sie hassten einander mit einer Leidenschaft, wie sie nur Blutsverwandte zustande brachten. Vielleicht war es das. Der Versuch, das Atha'an Miere verstehen zu wollen, war schlimmer als der Versuch, Männer verstehen zu wollen. Eine Frau konnte darüber den Verstand verlieren.
Nynaeve murmelte etwas Unhörbares, riss an ihrem Schultertuch und bereitete sich innerlich vor, hielt die Ströme aus Macht fest. Die überwältigende Freude, Saidar zu halten, konnte kaum mit ihrem Ärger konkurrieren. Noch einmal, Nynaeve. Wenigstens war Renaile nicht hier. Oft wollten sie, dass Nynaeve ihnen Dinge beibrachte, bei denen sie sich nicht so gut auskannte wie bei anderen - viel zu oft waren es Dinge, mit denen sie sich kaum auskannte, wie sie zögerlich zugeben musste; ehrlich gesagt hatte sie in der Burg keine besonders ausführliche Ausbildung erhalten -und bei der kleinsten Ungeschicklichkeit brachte Renaile sie mit offensichtlicher Begeisterung zum Schwitzen. Die anderen brachten sie auch zum Schwitzen, doch sie schienen wenigstens nicht so viel Freude daran zu empfinden. Aber egal, nach einer Stunde harter Arbeit war sie müde. Sareitha und ihre Bitte sollten verdammt sein!
Sie schlug wieder zu, aber diesmal begegnete ihr Talaans Strom aus Geist wesentlich nachgiebiger als erwartet, und sie stieß ihn viel weiter zur Seite als geplant. Plötzlich schössen sechs gegnerische Ströme aus Luft auf Nynaeve zu und sie zerschnitt sie mit Feuer. Die zerteilten Ströme peitschten in Talaan zurück und schüttelten sie sichtlich durch, aber bevor sie ganz verschwunden waren, erschienen schneller als zuvor sechs weitere. Nynaeve hieb zu. Und starrte Talaan ungläubig an, als das gegnerische Gewebe aus Geist das ihre umging, sie einhüllte und von Saidar abschnitt. Sie war abgeschirmt! Talaan hatte sie abgeschirmt! Um die Demütigung komplett zu machen, fesselten Ströme aus Luft ihre Arme und Beine eng aneinander und zerdrückten ihre Röcke. Das wäre nie passiert, wäre sie nicht so wütend auf Sareitha gewesen.
»Das Mädchen hat sie erwischt«, sagte Caire. Sie klang überrascht. Dem kalten Blick nach zu urteilen, den sie Talaan zuwarf, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass sie ihre Mutter war. Tatsächlich schien Talaan ihr Erfolg peinlich zu sein, sie ließ die Ströme sofort los und senkte den Blick.
»Sehr gut, Talaan«, sagte Nynaeve, da sonst keiner ein Wort des Lobes oder der Ermunterung von sich gab. Gereizt schob sie das Schultertuch zurück und ließ es in die Armbeugen rutschen. Man musste dem Mädchen nicht sagen, dass es Glück gehabt hatte. Talaan war schnell, das auf jeden Fall, aber Nynaeve war sich nicht darüber im Klaren, ob sie selbst noch lange die Macht lenken konnte. Im Augenblick befand sie sich nicht auf dem Höhepunkt ihrer Kräfte. »Ich fürchte, ich habe heute keine Zeit mehr, also...«
»Versucht es noch einmal«, befahl Zaida und beugte sich gespannt vor. »Ich will mir etwas ansehen.« Das war keine Erklärung oder so etwas Ähnliches wie eine Entschuldigung, sondern lediglich eine Darstellung der Fakten. Zaida erklärte nie etwas, genauso wenig wie sie sich entschuldigte. Sie erwartete bloß Gehorsam.
Nynaeve dachte daran, der Frau zu sagen, dass sie von dem, was sie da taten, sowieso nichts sehen konnte, aber sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Nicht mit sechs Windsucherinnen im Raum. Zwei Tage zuvor hatte sie ihre Meinung deutlich zum Ausdruck gebracht, und sie wollte auf keinen Fall eine Wiederholung dessen erleben, was dann geschehen war. Sie hatte versucht, es als Strafe dafür
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