Die Herrschaft Der Seanchane
noch immer an, als würde man gegen eine Wand schlagen - nur dass ihre ganze Haut brannte statt nur ihre Handfläche, was man aber kaum als Fortschritt bezeichnen konnte -, aber der Schein von Saidar verschwand in genau dem Augenblick, in dem die beiden anderen Ströme aus Luft ihr die Arme an die Seiten fesselten und die Knie in den weiten, dunklen Hosen zusammenschnürten.
Das hatte sie sauber hinbekommen. Das Mädchen war sehr flink, sehr geschickt mit ihren Geweben. Davon abgesehen war der Versuch, jemanden abzuschirmen, der gerade die Macht lenkte, bestenfalls riskant und schlimmstenfalls nutzlos, es sei denn, man war bedeutend stärker als die betreffende Person, und Talaan kam ihr darin so nahe, dass es eigentlich keinen Unterschied machte. Das half, kein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht erscheinen zu lassen. Es schien noch gar nicht so lange her zu sein, dass Schwestern ihre Kraft mit Staunen betrachtet und geglaubt hatten, nur einige der Verlorenen würden über eine noch größere Stärke verfügen. Talaan war in ihrer Entwicklung noch nicht zum Stillstand gekommen, dabei war sie kaum mehr als ein Kind. Wie alt war sie? Fünfzehn? Vielleicht sogar noch jünger. Das Licht allein kannte ihr Potenzial. Keine der Windsucherinnen hatte ein Wort darüber verloren, und Nynaeve hatte nicht vor, danach zu fragen. Sie wollte gar nicht wissen, wie viel stärker das Meervolkmädchen noch werden würde. Nicht im mindesten.
Talaans nackte Fußsohlen schabten über den gemusterten grünen Teppich, als sie den vergeblichen Versuch unternahm, die von Nynaeve mühelos gehaltene Abschirmung zu durchbrechen, dann seufzte sie ergeben und senkte den Blick. Obwohl es ihr gelungen war, Nynaeves Anweisungen zu befolgen, benahm sie sich, als hätte sie versagt, und nun sackte sie so niedergeschlagen in sich zusammen, dass der Eindruck entstand, sie würde nur noch von den Geweben aus Luft auf den Beinen gehalten.
Nynaeve ließ die Ströme sich auflösen, rückte das Schultertuch zurecht und öffnete den Mund, um Talaan zu sagen, was sie falsch gemacht hatte. Und um -wieder einmal - zu betonen, dass der Versuch, sich losreißen zu wollen, keine Aussicht auf Erfolg hatte, falls man nicht bedeutend stärker als derjenige war, der einen abschirmte. Die Meervolkfrauen schienen nichts von dem, was sie ihnen erklärte, zu glauben, bis sie es ihnen zehnmal gesagt und zwanzigmal gezeigt hatte.
»Sie hat deine eigene Kraft gegen dich benutzt«, sagte Senine din Ryal barsch, bevor Nynaeve auch nur ein Wort hervorbringen konnte. »Und du hast dich wieder ablenken lassen. Es ist wie bei einem Ringkampf, Mädchen. Du kannst doch ringen.«
»Versuch es noch einmal«, befahl Zaida mit einer energischen Geste ihrer dunklen, tätowierten Hand.
Alle Stühle im Raum waren an eine Wand gestellt worden, obwohl es eigentlich unnötig gewesen war, Platz zu schaffen. Zaida saß da und verfolgte den Unterricht, flankiert von sechs Windsucherinnen, die ein buntes Durcheinander aus roter, gelber und blauer Seide und hell gefärbtem Leinen boten, eine Unbehagen erregende Zurschaustellung von Ohrringen und Nasenringen und medaillonbeladenen Ketten. So lief es immer ab; eine der beiden Schülerinnen wurde für den eigentlichen Unterricht benutzt - oder sie zwangen Merilille, wenn sie nicht den Unterricht leitete, die Rolle einer Schülerin zu übernehmen; zumindest hatte Nynaeve das gehört -, während Zaida und irgendeine Gruppe von Windsucherinnen zusah. Die Herrin der Wogen selbst konnte natürlich nicht die Macht lenken, obwohl sie immer dabei war, und natürlich ließ sich keine der Windsucherinnen dazu herab, selbst am Unterricht teilzunehmen. Daran war nicht einmal zu denken.
Angesichts der Besessenheit des Meervolks in Fragen der Rangordnung war die Zusammensetzung der heutigen Gruppe schon recht merkwürdig. Shielyn, Zaidas Windsucherin, saß zu ihrer Rechten; die schlanke, sehr reservierte Frau war fast so groß wie Aviendha und überragte Zaida um Längen. Soweit Nynaeve sich darin auskannte, hatte das seine Richtigkeit, aber zu Zaidas Linken saß Senine, die auf einem Schweber diente, einem der kleinen Schiffe des Meervolks, und ihrer gehörte wiederum zu den kleinsten von ihnen. Natürlich hatte die von den Elementen gezeichnete Frau mit ihrem faltigen Gesicht und dem mit Grau durchzogenen Haar in der Vergangenheit mehr als ihre jetzigen sechs Ohrringe getragen; das galt auch für die Medaillons an der Kette, die sich über ihre dunkle
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