Die Herrschaft Der Seanchane
sie gewartet hatten, bis sich hinter Nynaeve die Tür geschlossen hatte. Die Frau, die immer so heftig bestritten hatte, eine Aes Sedai werden zu wollen, verwandelte sich sehr wohl in eine. Vielleicht hatte Lan etwas damit zu tun, der sie mit seiner Erfahrung lehrte. Manchmal musste sie sich noch immer bemühen, die Beherrschung nicht zu verlieren, aber seit ihrer seltsamen Hochzeit schien es ihr zusehends leichter zu fallen.
Der erste Schluck Wein schmeckte so, wie er sollte, es war ein sehr guter Wein, aber Elayne bedachte den Becher mit einem Stirnrunzeln und zögerte. Bis sie erkannte, was sie da tat und warum. Die Erinnerung an die in ihren Tee gemischte Spaltwurzel war noch immer stark. Was hatte Nynaeve hier reingetan? Natürlich keine Spaltwurzel, aber was dann? Den Becher zu heben, um einen großen Schluck zu nehmen, erschien sehr mühsam. Trotzig trank sie den Wein aus. Ich war durstig, das war alles, dachte sie und stellte den Becher wieder auf dem Silbertablett ab. Ich Iwbe bestimmt nicht versucht, etwas zu beweisen.
Die anderen beiden Frauen hatten sie beobachtet, aber als sie eine bequemere Position einnahm, um zu schlafen, sahen sie sich an.
»Ich halte im Wohnzimmer Wache«, erklärte Birgitte. »Dort stehen mein Bogen und mein Köcher. Du bleibst hier für den Fall, dass sie dich braucht.«
Statt zu streiten, zog Aviendha ihr Gürtelmesser und kniete an der Seite nieder, wo sie jeden, der durch die Tür kam, sehen würde, bevor derjenige sie sah. »Klopf zweimal, dann einmal und sag deinen Namen, bevor du eintrittst«, sagte sie. »Sonst gehe ich davon aus, dass es ein Feind ist.« Und Birgitte nickte, als wäre es das Vernünftigste auf der Welt.
»Das ist doch...« Elayne verbarg ein Gähnen hinter der Hand. »Albern«, setzte sie hinzu, als sie wieder sprechen konnte. »Niemand wird einen Versuch unternehmen...« Das nächste Gähnen, und diesmal hätte sie sich die Faust in den Mund stopfen können! Licht, was hatte Nynaeve in den Wein getan? »...mich heute Nacht zu töten«, sagte sie schläfrig, »und das wisst ihr beide...«-Ihre Lider waren wie Blei und senkten sich trotz aller Bemühungen, sie aufzuhalten. Unbewusst schmiegte sie das Gesicht ins Kissen und versuchte, den Satz zu beenden, aber...
Sie befand sich im Großen Saal, dem Thronsaal des Palastes. In der Widerspiegelung des Großen Saals im Tel'amn'rhiod. Hier schien der verdrehte Steinring, der in der Welt der Wachenden viel zu schwer für seine Größe zu sein schien, leicht genug zu sein, um zwischen ihren Brüsten hervorzuschweben. Natürlich gab es Licht, das von überall zugleich und von nirgendwo herzukommen schien. Es glich keinem Sonnenlicht, auch keinem Lampenlicht, aber selbst wenn es hier Nacht war, gab es immer noch genug von diesem seltsamen Licht, um etwas erkennen zu können. Wie in einem Traum. Das ständig gegenwärtige Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden, war nicht wie im Traum - eher wie in einem Albtraum, aber daran hatte sie sich gewöhnt.
Im Großen Saal wurden prächtige Audienzen abgehalten, ausländische Botschafter empfangen und den versammelten Würdenträgern wichtige Verträge und Kriegserklärungen verkündet; das lang gezogene Gemach passte zu seinem Namen und seiner Funktion. Jetzt, da es menschenleer war, erschien es wie eine Höhle. Zwei Reihen leuchtender weißer Säulen, die zehn Spannen hoch waren, säumten den Raum, und an einem Ende stand der Löwenthron auf einem Marmorpodest, dessen weiße Stufen, die von dem mit roten und weißen Fliesen ausgelegten Boden hinaufführten, mit rotem Teppich belegt waren. Der Thron hatte die richtige Größe für eine Frau, war aber mit den Beinen, die in stämmigen geschnitzten und vergoldeten Löwenpranken endeten, durchaus massiv; oben auf der hohen Lehne stach der aus Mondsteinen gefertigte Weiße Löwe aus einem Feld aus Rubinen hervor und verkündete allen, dass derjenige, der hier saß, eine mächtige Nation beherrschte. Aus hoch oben in der Kuppeldecke eingesetzten bunten Fenstern blickten die Königinnen, die Andor gegründet hatten, in die Tiefe; ihre Bilder wechselten sich mit dem Weißen Löwen und Szenen aus den Schlachten ab, die sie ausgefochten hatten, um Andor aus einer unbedeutenden Stadt in Artur Falkenflügels zerbrechendem Reich zu dieser Nation zu machen. Viele Länder, die aus dem Hundertjährigen Krieg hervorgegangen waren, gab es nicht mehr, aber Andor hatte die seitdem vergangenen tausend Jahre überstanden und
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