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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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Schriftsteller Fjodor Tjuttschew aus dem 19. Jahrhundert: »Mit dem Verstand ist Russland nicht zu begreifen«; und: »An Russland kann man nur glauben.« Wer vom Anitschkow-Palast, wo der letzte Zar seine Kinderjahre verbrachte, zum Taurischen Palais marschiert, wo nach dem Sturz des Zaren der Petersburger Sowjet tagte, kommt auf halber Strecke in die Baskow-Gasse. Hier wuchs mit Blick auf die grüngoldene Zwiebelkuppel der Erlöserkirche im Haus Nummer 12 einer auf, den sie inzwischen Russlands neuen Zaren nennen: Wladimir Putin.
    Als erster Petersburger nach Nikolai II. hat der Jurist und Ex-Geheimdienstoffizier es an die Spitze des Landes geschafft. In wechselnden Rollen, erst als Premier, dann zwei Amtszeiten lang als Präsident, seit 2008 wieder als Premier und demnächst wohl noch einmal als Präsident, lenkt er die Geschicke Russlands. »Dass Putin für immer Präsident« sein werde, lasse sich inzwischen nicht mehr ausschließen, spottete im Oktober 2011 der Moskauer Schriftsteller Wiktor Jerofejew. Der Kern des Problems liege nämlich nicht darin, dass der zähe Wladimir Wladimirowitsch zarengleich regiere. Verhängnisvoll sei vielmehr die Autoritätsgläubigkeit des Durchschnittsrussen: »Leider ist unser Leader liberaler als 80 Prozent unserer Bevölkerung. Die Russen sind ein archaisches Volk.«
    Putins Geburtshaus, mit streunenden Katzen im Hinterhof und blätterndem Putz an der Fassade, liegt in einem jener Petersburger Viertel, die seit der Zarenzeit ihr Gesicht bewahrt haben. Das zeigt sich nicht zuletzt an der prachtvollen Preobraschenski-Kathedrale, in die der kleine »Wolodja« einst, ohne Wissen des auf Parteilinie bedachten Vaters, von der Mutter zur Taufe geschleppt worden ist – 34 gusseiserne Doppeladler, zwischen deren Häuptern die Zarenkrone sitzt, zieren den Zaun rund um das Gotteshaus.
    Putins Großvater Spiridon, selbst ein Kind der Zarenzeit, wurde später als persönlicher Koch von Lenin und dann auch noch Stalin ein Geheimnisträger ersten Ranges im Sowjetsystem. Putins Vater Wladimir, überzeugter Kommunist, kämpfte im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen. Putin selbst bewarb sich schon als Schüler beim Geheimdienst KGB .
    »Ich kenne Putin seit langem, ich finde nichts Schlimmes daran, dass er ›Silowik‹ ist« – ein Veteran der Sicherheitsorgane, sagt Bischof Nasari in seinem Amtssitz im Alexander-Newski-Kloster: »Wir haben hier in Russland Jahrhunderte absoluter Machtausübung hinter uns und brauchen noch Generationen, um die Mentalität der Zarenzeit zu überwinden. Eine starke Hand wie die Putins kommt da gerade recht.« Bischof Nasari, stattlich, weißbärtig, mit einem gewaltigen silbernen Medaillon vor der Brust und einer Kollektion Stichwaffen hinter seinem Schreibtisch, steht einem der zwei heiligsten Orte Russlands vor – dem Alexander-Newski-Kloster. Am äußersten östlichen Ende des Newski-Prospekts verkörpert es den spirituellen Kontrapunkt zum westlich gelegenen Winterpalast der einstigen Herrscher am Schlossplatz.
    Gegründet hat das Kloster Peter der Große. Gewidmet hat er es Alexander Newski, dem siegreichen Feldherrn in der Schlacht gegen die Schweden 1240. »Denen, die sagen, Zar Peter I. sei ein Antichrist gewesen«, erklärt Bischof Nasari, »erwidere ich – er war ein Über-Orthodoxer. Er hat zwar die Kultur des Westens studiert, aber dennoch denjenigen verehrt, der den Westen bekämpft und besiegt hat, nämlich Alexander Newski.« Was Peter I. vor allem vorzuwerfen sei, scherzt der Bischof, sei die Idee mit der nördlichen Hauptstadt – St. Petersburg: »Auch mir kommt diese Stadt oft komisch vor. Dann sage ich mir, mein Gott, warum konnte der große Peter sie nicht woanders hinbauen lassen? In die wunderbar sonnige Ukraine zum Beispiel, wo ich ursprünglich herkomme.«
    Der Zar aber wollte Zugang zum Meer. Und so lebt Bischof Nasari mit seinen 40 Mönchen am Newa-Ufer und preist täglich den Herrn. Sonntags, wenn gegen zwanzig vor sechs am Morgen das Partyvolk noch vor verschlossenen Metro-Schächten auf die Bahn nach Hause wartet, setzen sich erste Gläubige bereits in Bewegung Richtung Kloster, um mit den Mönchen die Messe zu feiern. Der Weg führt sie vorbei an Friedhöfen, auf denen die Geistesgrößen und Musenkinder der Zarenzeit beinah so nah beieinanderliegen wie die Romanow-Sprösslinge in der Peter-Paul-Kathedrale: Tschaikowski und Mussorgski finden sich neben Dostojewski auf der rechten Seite des Weges wieder; der Universalgelehrte

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