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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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»als an seiner Person«.
    Königin, Krone, Kaiserin – ehe sie dann ihren Mann stürzte, hatte sie 17 Jahre lang, demütig und geduldig, als Großfürstin an der Seite Peters gelebt. Einmal nannte er sie »schrecklich bösartig und sehr eigensinnig«. Und sie gebar drei Kinder, Peter war jedoch wohl weder der Vater von Paul noch von Anna noch von Alexej. »Für seine lockeren Sitten«, so Neumann-Hoditz, sei »der Zarenhof bekannt« gewesen, und dies blieb auch weiterhin so. Katharinas Regentschaft begann mit einer fast spielerischen Szene, und sie sollte zu einer ihrer ersten wichtigen Entscheidungen führen. Im Senat, einem Kollegium von 30 Männern, fragte sie ganz unbedarft: »Wie viele Städte hat Russland?« Keiner wusste es. Eine Karte wurde aus der »Akademie der Wissenschaften« geholt, die Senatoren zählten, und an diesem Tag, formuliert es Cronin, habe die Zarin die »behütete und zivilisierte Welt des Hofes« verlassen und ein Russland betreten, »so wie es wirklich war: unwissend und für einen Europäer erschreckend rückständig«.
    Ein Riesenland, schwer gebeutelt durch den Siebenjährigen Krieg gegen Preußen, der gerade zu Ende ging, im Etat fehlten sieben Millionen Rubel. Russlands Kreditwürdigkeit war dahin, am Ende der Regierungszeit von Kaiserin Elisabeth (1741 bis 1761) hatten die Niederländer ein Darlehen von zwei Millionen Rubel abgelehnt. Schnell erkannte Katharina, dass sie den Haushalt konsolidieren musste. Russland war ein Agrarstaat, unterbevölkert, mit viel zu wenigen Arbeitskräften. Sie ließ ein Einwanderungskonzept erarbeiten, in ausländischen Zeitungen, besonders deutschen, erschienen Anzeigen, mit denen Siedler für die Steppengebiete an der unteren Wolga zu großzügigen Bedingungen gesucht wurden: ein halbes Jahr freies Quartier, Vieh, Gerätschaften, Saatgut umsonst, Steuerfreiheit für bis zu 30 Jahre. Tausende Familien aus deutschen Landen folgten zwischen 1763 und 1767 dem Ruf, fern der Heimat gründeten sie über hundert Ortschaften. Sie zogen auf derselben Route gen Osten wie zwei Jahrzehnte zuvor die junge Prinzessin von Anhalt-Zerbst; die Nachkommen der Immigranten heißen bis heute Wolgadeutsche.
    Dieses – insgesamt erfolgreiche – Projekt zeigt, dass Katharina politischen Weitblick besaß, gepaart mit dem Gespür für notwendige gesellschaftliche Veränderungen. Dafür arbeitete sie hart, wie sie einer Brieffreundin mitteilte. »Ich stehe regelmäßig um sechs Uhr früh auf, ich lese und schreibe ganz allein bis acht; dann kommt man und trägt mir die Angelegenheiten vor. Ich geh vor elf Uhr schlafen, um am nächsten Tag das Gleiche zu tun.« Eine lebendige Synthese aus deutschem Fleiß und russischer Glaubensstärke wurde ihr Erfolgsrezept. Weil sie »mehr als die meisten in ihrem Jahrhundert an die Kraft der Erziehung zum Wohle des Volkes glaubte« (Cronin), trieb die Kaiserin ihre Beamten auf diesem Gebiet besonders an. Schulen gab es so gut wie keine in Russland, außer einigen kirchlichen Seminaren oder Lehranstalten für künftige Heeres- und Marineoffiziere. Dies änderte sich, freilich nicht so schnell und nicht so flächendeckend, wie es sich die Regentin vielleicht vorgestellt hatte. Am Ende sollten es immerhin 315 staatliche Schulen sein mit 790 Lehrern und fast 20000 Schülern, etwa ein Zehntel von ihnen Mädchen.
    Katharina gründete eine ganz besondere Ausbildungsstätte, die bis zum Ende der Zarenzeit bestand. Im Petersburger Smolny-Institut blieben Schülerinnen vom 5. oder 6. Lebensjahr bis zum 18., mit breitem Lehrplan: Erdkunde, Rechnen, Religion und Geschichte, Heraldik, Fremdsprachen, Musik und Zeichnen. Auch Nähen, Haushaltskunde und Tanzen standen auf dem Programm, selbst das Erlernen juristischer Grundbegriffe.
    Voltaire, dieser geniale Kopf, mit dem sie auf hohem Niveau über ein Jahrzehnt lang korrespondierte, ließ in einem seiner zahllosen Briefe die Befürchtung anklingen, die Smolny-Damen könnten einem »Amazonenbataillon« angehören, »ich unterstelle aber nicht, dass sie die Männer verbannen«. Postwendend antwortete die lebensbejahende Katharina, leicht spöttelnd, man sei »weit davon entfernt, aus ihnen Nonnen zu machen, die vor lauter Litaneien nachts in der Kirche schwindsüchtig werden. Wir erziehen sie im Gegenteil zu den Freuden der Familie, wir wünschen sie weder prüde noch kokett«.
    In der alten Hauptstadt Moskau, dem wirtschaftlichen und politisch-kulturellen Zentrum des Landes, ließ sie eine Schule für

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