Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Katharina, alle vier Regimenter der kaiserlichen Garden auf ihre Seite zu ziehen; Soldaten nennen sie »Mütterchen«, küssen ihr die Hände und den Rockzipfel. Bald sind auch Senat und Kirchenobere vom Segen des zügigen Machtwechsels überzeugt. Am Abend des 9. Juli, nicht einmal 12 Stunden nach ihrem Aufbruch aus Monplaisir, ist Katharina Russlands neue Kaiserin. Der Ex-Zar, aus dem Amt gejagt »wie ein Kind, das man ins Bett schickt« (Preußens Friedrich II. ), kommt unter Hausarrest. Sieben Tage später ist er tot – wahrscheinlich vergiftet und vielleicht, sicherheitshalber, erdrosselt. Katharina klagt, ihre »Abscheu« sei »unaussprechlich, dieser Tod ist ein Schlag, der mich zu Boden wirft«. Den Mord hat sie weder in Auftrag gegeben noch von ihm gewusst, und doch profitiert sie davon.
Aus taktischem Kalkül lässt sie verbreiten, der Gatte sei trotz intensiver ärztlicher Hilfe an einer »äußerst akuten Kolik« gestorben, die das Gehirn angegriffen und zu einem Schlaganfall geführt habe. So steht am Anfang ihrer Herrschaft, die 34 Jahre lang dauern sollte, eine Lüge. Die allerdings schnell verblasste; Katharina gelang es, dieses Reich, das am Ende größer war als das Imperium Romanum in der Hochphase, überhaupt regierbar zu machen. Und sie schaffte es, ihr Land auf Abstand zu bringen zu den asiatischen Despotien. »Russland«, wird sie sagen, »ist eine europäische Macht.« Ein gewaltiges Wort. Und von sich selbst zeichnete sie das Bild einer mustergültig aufgeklärten Herrscherin. Doch dies, urteilt der Russland-Kenner Reinhold Neumann-Hoditz, sei reines Posieren gewesen, »mit Blick auf Westeuropa«. Der Adel, den sie nach der Machtübernahme beständig hofieren musste, blieb allzu mächtig. Letztlich steigerte sie die Macht der fürstlichen Familien noch, obschon sie anderes versprochen hatte.
Und die Lage der Bauern, die die Hauptlast der Steuerbürde zu tragen hatten und weitgehend rechtlos blieben, verschlechterte sich – allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz. Historiker haben Katharina deswegen eine Heuchlerin genannt und zugleich anerkannt, dass sie sich um Russland verdient gemacht hat. Schon fünf Jahre nach dem Umsturz bot ihr die »Gesetzgebende Kommission«, ein Reformkonvent, einen besonderen Beinamen an, den bis dahin nur bedeutende Männer der Weltgeschichte getragen hatten. Katharina lehnte ab, weil sie es der »Nachwelt überlassen« wollte, »unparteiisch zu beurteilen, was ich getan habe«.
Der vorgeschlagene Titel war hochmögend – »die Große«. Das Fürstentum Anhalt-Zerbst gehörte zu den kleinen Territorien des Alten Reichs, gerade mal 20000 Menschen lebten hier als Nachbarn des mächtigen Preußen. Die anhaltinischen Herrscher entstammten dem Geschlecht der Askanier, und diese Herkunft konnte stolz machen. Hochadel mit einer jahrhundertelangen Tradition, vom Alter her ebenbürtig den Staufern und Welfen; die Habsburger und die Hohenzollern traten erst später auf die Bühne Deutschlands und Europas.
Sophie war Askanierin, Sophie Auguste Friederike, Prinzessin von Anhalt-Zerbst, geboren 1729 im pommerschen Stettin, wo ihr Vater dem preußischen König als Kommandant diente. Als sie sieben war, verkrümmte sich nach einem Sturz ihr Rückgrat, vermutlich als Folge einer Brustfellentzündung. Mehrere Jahre trug sie ein Korsett, angefertigt ausgerechnet vom Henker der Stadt – ein Arzt war zu teuer. Es muss eine quälende Zeit gewesen sein, bis sie wieder gesund war, »eine Lehre in Demut und Geduld«, schreibt der britische Historiker Vincent Cronin. Das Mädchen galt nicht unbedingt als Schönheit, ihr Kinn stand so weit vor, dass Sophies Erzieherin sie mahnte, es einzuziehen, sonst würde sie noch jemanden damit erstechen. Dennoch hatte sie genügend Verehrer, und sie wusste genau, wohin sie wollte. »Obwohl ich noch ein Kind war«, sagte sie, habe ihr vor allem eines geschmeichelt – »der Titel einer Königin«.
Im September 1745 fand die Hochzeit mit Peter statt, dem designierten Nachfolger der Zarin Elisabeth, eingefädelt von Friedrich, dem »Alten Fritz«, der Russlands Bedeutung früh erkannte. Peter war ihr Cousin zweiten Grades. Offiziell hieß sie nun Jekaterina Alexejewna. Er war 17, sie 16, ein allzu junges Paar. »Wir kannten nie unter uns die Sprache der Zärtlichkeit. Es war doch wohl nicht meine Sache, sie in Gang zu bringen«, echauffierte sich Katharina. Ehrlich gab sie aber zu, ihr sei »an der russischen Krone mehr« gelegen gewesen
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