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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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Findelkinder einrichten. Findelhäuser gab es mehrere, und es mutet nachgerade modern an, dass niemand, der ein unehelich geborenes Kind dorthin brachte, verpflichtet war, »sich auszuweisen oder irgendwelche Auskünfte über das Kind zu geben«, so der Russland-Historiker Erich Donnert. Jedes Kind konnte im eigenen Bett schlafen, allein das Moskauer Haus nahm jährlich etwa 2000 Jungen und Mädchen auf.
    Überhaupt lag der Kaiserin das Schicksal von Kindern besonders am Herzen, vielleicht auch, weil ihr Töchterchen Anna mit nicht einmal zwei Jahren gestorben war. »Wenn man in ein Dorf kommt und einen Bauern fragt, wie viele Kinder er hat, wird er sagen 10, 12 oder sogar 20«, hielt Katharina fest. »Und wie viele leben davon? Dann sagt er, einer, zwei oder drei, selten vier. Diese erschreckend hohe Sterblichkeit muss bekämpft werden.« Peter der Große hatte für seine kranken oder verletzten Soldaten gut ausgestattete Lazarette errichten lassen, Katharina kümmerte sich um die Zivilbevölkerung. Sie ließ sich gegen die todbringenden Pocken impfen – um den skeptischen, verängstigten Untertanen klarzumachen, wie ungefährlich diese überaus wichtige Prophylaxe war. Während in den Metropolen London und Berlin kurz vor dem Ende des 18. Jahrhunderts die Kindersterblichkeit bei 32 beziehungsweise knapp 28 Prozent lag, tat sich St. Petersburg mit einer deutlich besseren Rate hervor – knapp über 18 Prozent.
    Als die deutsche Russin Katharina an die Macht kam, hatten sich in wichtigen Herrscherhäusern Europas politische Maximen bereits grundlegend verändert. Vormals galt als Regierungsform der Absolutismus, Fürsten glaubten sich nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich und Gott, von dem sie sich eingesetzt fühlten. Nun durchdrangen die Ideen der Aufklärung dieses Prinzip der Obrigkeit und der Selbstgefälligkeit. Eine der eingängigsten Beschreibungen des gesellschaftlichen Umbruchs lieferte der deutsche Philosoph Immanuel Kant. »Aufklärung«, schrieb er, sei der »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«. Aufklärung hieß, im Idealfall: Achtung der Menschenrechte, Handlungsfreiheit für jeden, Pressefreiheit, eine aufs Gemeinwohl verpflichtete Regierungsführung. Der Souverän sollte »erster Diener seines Staates« sein, nicht erster Nutznießer.
    Ein Thema beschäftigte deshalb die Regenten in der Phase des aufgeklärten Absolutismus vor allem: Reformen. Keine Frage: Die Ordnung des Bildungswesens, ihr großes Interesse an sozialer Wohlfahrt, an Kunst und Kultur stehen auf Katharinas Habenseite, wie auch die Konsequenz, mit der sie im ständig wachsenden Reich für ein effektives Verwaltungssystem sorgte, damit ein einheitlicher Staat geschaffen werden konnte. Und zwar ein gewaltiger: Zwei Türkenkriege brachten Russland den Zugang zum Schwarzen Meer, die Krim wurde annektiert, die südliche Ukraine kam hinzu, ein Teil Georgiens als Protektorat; die drei Teilungen Polens (1772, 1793 und 1795) vergrößerten das Land im Westen um eine halbe Million Quadratkilometer – und 5,6 Millionen Menschen, überwiegend Weißrussen und Ukrainer orthodoxen Glaubens.
    Anfangs hatte die Kaiserin davon geträumt, in diesem Imperium Ideale der Aufklärung realisieren zu können. Eigenhändig verfasste sie eine »Instruktion«, geplant als Grundlage für ein umfassendes russisches Gesetzbuch. Katharinas Fleißarbeit bestand aus 655 Paragrafen, die ihren Untertanen Rede- und Glaubensfreiheit genauso versprach wie das Recht auf Eigentum oder langfristig die Aufhebung der Leibeigenschaft. »Das schönste Monument des Jahrhunderts«, jubelte Voltaire, ihr Berater Nikita Panin dagegen hob warnend die Stimme: »Das sind Grundsätze, die geeignet sind, Mauern einzureißen.«
    Er behielt recht. Die »Gesetzgebende Kommission« – mit 208 Deputierten der Städte, 160 des Adels, 60 Kosaken und 80 Bauern, die Katharina aus einer Vorschlagsliste persönlich auswählte – tagte zwar ab August 1767 im Moskauer Kreml. Heraus kam freilich nichts. Schon im Jahr darauf stellte die Kommission ihre Arbeit ein. Russische Konservative verstanden sich früh darauf, Reformprojekte zu zerreden und auszusitzen. Doch diesem Misserfolg habe Katharina nicht lange nachgetrauert, konstatiert die Slawistin Annelies Graßhoff. Bald schon »belächelte sie ihre ›Instruktion‹ als ›Jugendsünde‹ und tat sie als ›leeres Geschwätz‹ ab«.

    Es zeigte sich, dass diese rückwärtsgewandte Politik große Gefahren in

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