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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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an »einem geheimen Ort« versteckt. Als vorgeblicher »Kaiser von ganz Russland« verlangte er in einem ersten Manifest von seinen Untertanen ihre einst geschworene Treue. Unerhörte Gegenleistungen stellt der neue Volks-Zar in Aussicht: »ewige Freiheit, Flüsse, Wiesen, alle Nutzungsrechte und Gewerbe, Salär, Proviant, Pulver und Blei, Würden und Ehren«. Wer sich ihm aber widersetze, warnte er kurz danach, werde »grausame Folterqualen« erleiden. Pugatschows Manifest war nicht nur die ziemlich paradoxe Erklärung eines Rebellen, der sich auf Traditionen der absoluten Monarchie berief, deren Auswüchse er eigentlich bekämpfen wollte. Es war auch der Beginn eines ungleichen Duells: Auf der einen Seite die prunksüchtige Katharina, hochgebildet, mehrsprachig und wortgewaltig, die sich als Aufklärerin verstand und Geistesgrößen wie Voltaire zu ihren Brieffreunden zählte. Auf der anderen Seite ein verarmter Don-Kosake und Deserteur, der als Analphabet nicht einmal in der Lage war, seine Erklärungen selbst zu verfassen – und mit seiner unprätentiösen Sprache dennoch viel eher die Herzen der Bauern eroberte als seine Gegenspielerin.
    Die Sprengkraft ihrer Auseinandersetzung lag darin, dass sie mit Hochadel und Bauernschaft die Interessen zweier Klassen vertraten, die einander immer fremder und verhasster geworden waren. Im Russland des 18. Jahrhunderts glichen diese beiden Schichten zwei Welten, die Pugatschows Aufstand nun ungebremst aufeinanderprallen ließ. Den größten Konfliktstoff bildete die Leibeigenschaft, die sich schon im 16. Jahrhundert unter Iwan IV. (»der Schreckliche«) herausgebildet hatte. Per Gesetz schränkte der Zar drastisch die Freiheit der Bauern ein und lieferte sie fortan der Willkür des Landadels aus. Bis dahin hatten sich die Bauern den Gutsbesitzer aussuchen können, von dem sie glaubten, dass er sie am besten schützen würde. Doch im Jahr 1550 reduzierte Iwan diese Möglichkeit zum Wechsel auf einen Tag im Jahr. Sein Pakt mit dem Adel bot Iwan einen entscheidenden militärpolitischen Vorteil: Wenn die Bauern nicht mehr wegziehen durften, konnten die Gutsbesitzer besser mit ihren Arbeitskräften kalkulieren – und dem Zaren das gewünschte Kontingent an Soldaten stellen. Iwans Nachfolger verboten den Bauern ausnahmslos den Wegzug. So gerieten Millionen in Unfreiheit. Peitschenhiebe, ein oft mörderisches Arbeitspensum und die Angst, verkauft zu werden, trieb viele Leibeigene in die Flucht. Manche ermordeten ihre Herren.
    Unter Katharina nahmen die Spannungen zu. Eine winzige Elite aus einflussreichen Adelsfamilien besetzte alle führenden Posten in Verwaltung, Politik und Militär. Rund 90 Prozent der Bevölkerung schufteten dagegen als Leibeigene. Zwar schwärmte die Zarin besonders im Ausland für die Ideale der Aufklärung und diskutierte zum Entsetzen des Adels sogar die Freilassung der Bauern. Reformgegner wie der Hofdichter Alexander Sumarokow prognostizierten ihr daraufhin apokalyptische Zustände: einen »unaufhörlichen Bürgerkrieg« zwischen Adel und Bauern, eine »Entvölkerung der Dörfer« durch Landflucht, eine völlige Abhängigkeit der Gutsbesitzer von ihren einstigen Arbeitssklaven. Katharina widersprach, beließ es aber bei hehren Worten. Mit einigen Maßnahmen stärkte sie stattdessen die Tyrannei der Gutsherren. So erlaubte sie ihnen, Leibeigene »für sehr dreistes Benehmen« zur Zwangsarbeit ins Zuchthaus zu schicken. Die Kosten des Aufenthalts übernahm sogar der hochverschuldete Staat: Das Zarenreich investierte lieber in Unterdrückung als in Wohlfahrt.
    Die Situation verschärfte sich, als Katharina für den lange erfolglosen Krieg mit dem Osmanischen Reich Zehntausende Soldaten benötigte. Da es keine Wehrpflicht gab, musste sie Nachschub vom Land einziehen lassen – einen Soldaten pro 150 Dorfbewohner. Oft endeten die Zwangsrekrutierungen in einem Blutbad: Wer sich wehrte oder floh, wurde eingefangen und misshandelt. Viele Rekruten starben, ohne je ihre Regimenter zu erreichen. Auch Pugatschow hatte für die Zarin gegen die Türken kämpfen müssen, bevor er sich 1771 nach einem Krankheitsurlaub weigerte, zur Front zurückzukehren. Mehrmals wurde er deswegen festgenommen, konnte aber immer wieder entkommen. Nach einer fast zweijährigen Odyssee tauchte er rund 700 Kilometer nordöstlich seiner Heimat am Don bei den Ural-Kosaken unter.
    Dort wurde er als Befreier gefeiert und gerierte sich als Souverän: Er prägte Münzen mit seinem Konterfei

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