Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Jaizk, in der alles begonnen hatte. Einem Ort, den Katharina nun aus dem Gedächtnis der Nation tilgen wollte. Sie taufte Jaizk in Uralsk um und machte den Fluss Jaik zum Ural. Pugatschows Heimatdorf Simowejskaja wurde Stein für Stein abgetragen und unter neuem Namen an anderer Stelle wieder aufgebaut. Künftig verschwendete die Zarin keinen Gedanken mehr an die Befreiung der Leibeigenen; den unruhigen Süden des Reiches versuchte sie mit einer Verwaltungsreform besser zu kontrollieren. Die Kosaken hatten nach Pugatschow weniger Autonomie als zuvor, auch wenn die Herrscherin ihnen diesen Verlust mit einigen Privilegien versüßte.
Dennoch triumphierte der Rebellenführer postum: Katharinas Kalkül, der Aufstand solle »ewigem Vergessen und tiefem Schweigen anheimfallen«, ging nicht auf. Pugatschow blieb seinen Landsleuten noch lange im Gedächtnis. Er kämpfte weiter, in etlichen Erzählungen und Volksweisen, und Nationaldichter Alexander Puschkin setzte ihm 1836 im Roman »Die Hauptmannstochter« ein literarisches Denkmal. Dann, 1917, kamen die Kommunisten und verklärten ihn endgültig zum Volkshelden.
Triumph in Paris
Nach seinem Sieg
über Napoleon wurde Alexander I.
als »Retter Europas« gefeiert.
Von Dietmar Pieper
K urz nach Sonnenuntergang kam auf einmal die Hauptstadt des Gegners in Sicht. Es war der 29. März 1814, ein wolkenloser, warmer Frühlingstag. Ein Geschichtsschreiber im Stab des russischen Kaisers hielt den Moment später fest: »Unerwartet tauchten rechts von uns der Montmartre und die hohen Türme der Hauptstadt auf. ›Paris! Paris!‹, erschallte es überall.« Das russische Heer, angeführt von Zar Alexander I. , sah endlich das große Ziel vor Augen. Fast zwei Jahre lang waren die Soldaten geritten und marschiert, hatten Feinde getötet und Kameraden verloren. Weit entfernt von ihrer Heimat standen sie nun vor einem historischen Triumph. Würde Paris fallen, dann würde auch Napoleon stürzen, der Mann, den sie in Russland hassten wie den Satan.
Schon am nächsten Tag tobten die Kämpfe zwischen den Häusern am Rande der Stadt, die seit vier Jahrhunderten nicht mehr von fremden Eroberern bezwungen worden war. Nachmittags gelang es einem Armeekorps, den Montmartre zu stürmen. Bald hallten russische Regimentsmärsche durch die Gassen, der Sieg war gewiss. Ein Offizier, der zu Waffenstillstandsverhandlungen ins gegnerische Lager geschickt wurde, kehrte betrunken zurück, weil er bereits zu viel gefeiert hatte. Bestraft wurde er nicht, an so einem Tag. Der russische Oberbefehlshaber behielt einen kühlen Kopf. Denn Alexander I. wollte nicht nur den militärischen, sondern auch den politischen Erfolg. Das bedeutete: Frankreich brauchte eine neue Regierung, mit der er Frieden schließen konnte. Ruhe in Paris war dafür die Voraussetzung.
Am 31. März ließ der Zar seinen Grauschimmel »Mars« satteln, einst ein Geschenk des französischen Gesandten in St. Petersburg, und ritt durch die Stadt. Begleitet wurde Alexander von seinen Verbündeten, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. und dem österreichischen Feldmarschall Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg. Auf den Champs-Elysées nahmen sie die Parade ihrer Regimenter ab. Dann begannen die Verhandlungen über die Zukunft des besiegten Landes.
Napoleon, der in Fontainebleau 60 Kilometer südlich von Paris Quartier bezogen hatte, klammerte sich noch an die Macht. Der Kaiser der Franzosen wollte zunächst nur zugunsten seines drei Jahre alten Sohnes abdanken. Das lehnten die Sieger ab. Schließlich erklärte Napoleon seine bedingungslose Abdankung. In der Nacht vom 12. auf den 13. April 1814 versuchte er, sich das Leben zu nehmen, doch das Gift war wirkungslos. Eine Woche später reiste er, wie vereinbart, ins Exil nach Elba. Nicht mehr der Korse war nun der mächtigste Herrscher, sondern sein russischer Gegenspieler aus dem Hause Romanow. Das Ansehen Alexanders in der Welt war größer als das jedes Zaren vor ihm. Überall auf dem Kontinent feierten ihn die Menschen als »Retter Europas«.
Im März 1801, mit 23 Jahren, war er auf den russischen Kaiserthron gekommen, nachdem adlige Verschwörer seinen Vater ermordet hatten. Der junge Monarch hatte keine ganz einfache Jugend hinter sich. Seine Großmutter Katharina II. mischte sich kräftig in Alexanders Erziehung ein. Sie sorgte dafür, dass der freundliche, sensible Junge in die humanistische Gedankenwelt der Aufklärung eintauchte. Der Vater, Zar Paul I. , war dazu der dunkle
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