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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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und verwendete kaiserliche Siegel. Bittsteller empfing der Rebellen-Zar auf einem Richterstuhl, gekleidet in einen roten Mantel mit goldener Spitze, in der einen Hand ein Zepter, in der anderen eine silberne Axt. Tausende schworen ihm die Treue – so unwahrscheinlich seine Geschichte auch war: Da behauptete ein 1,63 Meter kleiner Mann mit dunkelbraunen Haaren, Zahnlücke und vernarbtem Gesicht, der totgeglaubte Zar Peter III. zu sein. Dabei war der echte Peter blond, blauäugig und auffällig groß gewesen – und hatte sich nie für die Kosaken interessiert.
    Auch wenn enge Vertraute Pugatschows wahre Identität kannten und etliche den Schwindel ahnten, war der Mummenschanz sehr effektiv. Denn das einfache Volk verehrte die Zaren als göttliche Autorität; Repressionen schrieb es meist Intrigen des Adels zu. Zudem galt der echte Peter III. als sehr reformwillig. Er hatte sich für die Religionsfreiheit eingesetzt und damit Anhänger des altorthodoxen Glaubens beeindruckt. Viele Bauern waren überzeugt, Peter habe geplant, sie von der Leibeigenschaft zu befreien – und sei deshalb ermordet worden. So avancierte der tote Zar zum Hoffnungsträger. Vor Pugatschow hatten sich bereits sieben Hochstapler als Peter III. ausgegeben. Keiner von ihnen entzündete jedoch einen so gewaltigen Flächenbrand wie der achte falsche Peter.
    Der eilte im Herbst 1773 von Erfolg zu Erfolg. In wenigen Wochen hatte seine Truppe sechs Forts und 20 Kanonen erobert. Schon bald zählte sie 10000 Mann, darunter waren auch viele entlaufene Leibeigene. Die Erfolgsnachrichten ermutigten weitere Rebellen zu lokalen Aufständen. Im Dezember sprang der Funke auf Regionen über, die Hunderte Kilometer nördlich vom Kerngebiet der Ural-Kosaken lagen. Erst schlossen sich die Baschkiren an, ein halbnomadisches Turkvolk. Dann rebellierten Tataren, Kirgisen und viele Arbeiter aus den Hüttenwerken, Zentren der Waffenherstellung. Große Städte wie Kasan, Ufa und Jekaterinburg waren bedroht. Kopflos flohen die zaristischen Garnisonen oft schon bei den ersten Gerüchten von der Ankunft der Aufständischen.
    Katharina reagierte mit einer Mischung aus Versprechungen und Drohungen. In Kirchen ließ sie Erklärungen verlesen, die allen Aufständischen Vergebung zusicherten, sollten sie der legitimen Obrigkeit die Treue schwören. Gleichzeitig stattete sie einen ihrer besten Militärs, General Alexander Bibikow, mit umfassenden Vollmachten aus und beauftragte ihn, dieses »Geschwür des 18. Jahrhunderts auszumerzen«. Bibikow hatte einen doppelten Auftrag: Er sollte den Aufstand rasch niederschlagen und mit einer Art politischen Polizei dessen Ursachen ergründen und vermeintliche Hintermänner aufspüren. Denn die Zarin war überzeugt, eine solche Krise könne nur aus dem Ausland gesteuert werden. Im mondänen St. Petersburg hatte sie das Gefühl für die Unzufriedenheit ihrer Untertanen verloren.
    So empfand sie die Rebellion eher als Gefahr für ihre Außenpolitik. Monatelang verschwieg sie den Aufstand aus Angst, er könne die russische Position bei möglichen Friedensverhandlungen mit den Türken schwächen. Briefe aus dem Ausland wurden abgefangen, Botschafter berichteten, niemand dürfe über den Aufstand reden. Lange machte sich die feingeistige Herrscherin mehr Sorgen um ihren Ruf in der Welt als um die Erfolge der Rebellen, die sie auf »Blindheit« und »Aberglaube« zurückführte. Selbstgerecht notierte sie, dass sie doch mit »Menschenliebe und Milde« regiert habe. Nun werde der Aufstand Russland in den Augen der Europäer wieder in die Zeiten Iwans des Schrecklichen zurückwerfen. »Das Ganze wird mit Hängen enden«, schrieb sie einem Vertrauten betrübt, »doch welche Aussicht für mich, die das Hängen nicht liebt.«
    Mehr als tausend Kilometer von St. Petersburg entfernt wurde längst in ihrem Namen gemordet, gefoltert und gehängt. Die Geheimpolizei hatte ihre Zentrale in Kasan errichtet und verhörte gefangene Rebellen und Augenzeugen. Manche wurden zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Anderen brannten Bibikows Männer mit heißem Eisen das Wort »Verräter« ins Fleisch. Zur Abschreckung ließ der General Hingerichtete noch wochenlang am Galgen baumeln. Selbst wer als harmlos galt, wurde nur freigelassen, wenn er versprach, Pugatschow künftig nur noch als Gauner und Hochstapler zu bezeichnen. Bibikow setzte sogar die inhaftierte Frau des Rebellenführers zur Gegenpropaganda ein. An Markttagen sollte sie den Leuten verraten, wer der

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