Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Bedrängern wurden, zeigen bald ausbrechende Aufstände: Sie werden niedergeschlagen.
Iraklis westgeorgischer Kollege, Salomon II. , verhält sich genau andersherum, aber auch er hat keine Chance. Er weigert sich von Anfang an, mit den Zaren zu verhandeln. Die Russen überziehen sein Königreich Imereti daraufhin mit einem sechsjährigen Krieg und zwingen Salomon zur Flucht. So fällt dem Imperium auch der Westen Georgiens in die Hand – mit Ausnahme des kleinen Fürstentums Abchasien, das 1810 in Russland eingefügt wird, aber Widerstand leistet – und 1864 doch von Russland annektiert wird. Im Gedächtnis der Völker hat sich vor allem der nahezu 50-jährige Kaukasuskrieg zwischen 1817 und 1864 eingebrannt: der Feldzug gegen Tschetschenen und Dagestaner, die »gorzy«. Was nützen den Russen die Eroberungen im Transkaukasus, wenn die Verbindungslinie nach Georgien allein über die sogenannte Georgische Heerstraße führt, das Gebiet östlich und westlich dieses Weges aber nicht erobert ist? Es ist ein schwer zugängliches Terrain und zudem von Muslimen bewohnt.
Die Zaren weisen ihre Generäle an, die Siedlungsgebiete der Bergvölker zu isolieren und dann gezielt gegen sie vorzugehen. Zu diesem Zweck legen die Militärs überall Festungen und einen Gürtel von Kosakensiedlungen an. Tschetscheniens heutige Hauptstadt Grosny entsteht so: General Alexej Jermolow gründet 1818 am Terek-Nebenfluss Sunscha die »Grosnaja krepost«, die furchtgebietende Festung, auch hier leben zunächst nur russische Kosaken. Schritt für Schritt tasten sich die russischen Truppen voran – zuerst erobern sie südliche Gebiete im heutigen Kabardino-Balkarien, später wenden sie sich Dagestan zu. Denn im Norden Dagestans hat sich der charismatische Imam Schamil mit 4000 Kämpfern festgesetzt und zum Befreiungskampf gegen die russischen Eindringlinge aufgerufen. Schamil ist der Sohn eines Landbesitzers. Er hat Grammatik, Logik und Arabisch studiert und gehört der Sufi-Bruderschaft der Nakschbandi an. Ihm und seinen Männern gelingt es, durch fanatischen Widerstand die russische Eroberung des Nordkaukasus um 25 Jahre zu verzögern. Und das, obwohl die Russen in den Jahren des Kaukasus-Krieges zeitweise 100000 Mann vor Ort haben und hervorragende Feldherren, darunter den deutschen Armeeoberbefehlshaber Alexander von Neidhardt.
Immer wieder versuchen auch die Perser, vor allem aber die Türken, den Kaukasus zurückzuerobern, so während des Krim-Krieges ab 1853. Es ist die Zeit, in der Männer wie der Gutsbesitzersohn und spätere Romanautor Leo Tolstoi sich begeistert der russischen Kaukasusarmee anschließen, nachdem andere, wie der Dichter und Völkerpsychologe Michail Lermontow, im Kaukasus bereits ihr Leben gelassen haben.
1864 vermeldet General Nikolai Jewdokimow das Ende der fast hundertjährigen Kämpfe um die Gebirgsregion: »Von jetzt an gibt es im Kaukasus keinen nichtunterworfenen Stamm mehr.« Als Alexander II. das Gebiet bereist, schreibt er an einen deutschen Vetter, dass seine Fahrt ein schöner, Wahrheit gewordener Traum gewesen und dass das Land jetzt vollständig befriedet sei. Es ist die zu dieser Zeit wohl reichste und am dichtesten bevölkerte russische Kolonie. Aber der Kaukasus bleibt für die Russen eine bittere Last. Warum fällt ihnen bis heute der Umgang mit den ererbten Eroberungen so schwer? Weil Russland die örtlichen Gegebenheiten von Anfang an ignoriert, wie schon der deutsche Nationalökonom August Franz von Haxthausen feststellen muss, als er 1843 auf Einladung von Zar Nikolai I. den Kaukasus bereist: Die russischen Beamten »waren viel zu träge, den vorhandenen Zustand zu studieren, sie verfuhren überall plump nach den Gesetzen und Administrationsbegriffen, die sie kannten, also den russischen, höchstens vermengt mit ein bisschen Willkür und gelegentlicher Raublust und Aussaugung. Es konnte nicht fehlen, dass dadurch bitterer Groll gegen die Russen fast bei allen kaukasischen Völkerschaften sich ausbildete.«
Auch eine neuere russische Studie kommt zu dem Schluss, die Zaren hätten die kaukasischen Führer nie als gleichberechtigte Herrscher behandelt, sondern sie als neue russische Untertanen gedemütigt. Sie hätten mit ihrer »ungeschickten Religionspolitik« und ihrer Unkenntnis des Islam die Bergvölker geradezu in Aufstände getrieben. Russlands Elite hat den Kaukasus und dessen Völker unter machtpolitischen Gesichtspunkten betrachtet, über die sozialen, politischen oder mentalen Folgen
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