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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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Unterdrückungsapparate, derer sich später auch die Sowjets bedienen sollten.
    Der sowjetische Geheimdienst KGB legte in den siebziger Jahren sogar Lehrbücher über die Methoden der Ochrana auf, um Kadern auf seiner Hochschule in Minsk bewährte Kniffe beizubringen.
    Die Ochrana stützte sich auf ein weitgestrecktes Netz von geschickt betreuten Zuträgern, Provokateuren und Spitzeln. V-Leuten ähnlich lieferten sie gegen Geld wertvolle Informationen aus der revolutionären Szene. Die Geheimen aber konnten nie ganz sicher sein, ob die Doppelagenten die Romanow-Dynastie schützen oder lieber stürzen wollten.
    Ende des 19. Jahrhunderts ist das rückständige Zarenreich in Aufruhr. Teile der Bevölkerung und der Intelligenz sympathisieren mit dem bewaffneten Kampf. Spitzenbeamte sind bisweilen kaum in der Lage, sich selbst zu schützen.
    Im Januar 1878 marschiert eine junge Frau schnurstracks in das Kabinett des Gouverneurs in St. Petersburg. Fjodor Trepow hat seinen Amtssitz in einer herrschaftlichen Villa. Auch die Staatssicherheit residiert in dem Anwesen. Doch sie kann nicht verhindern, dass die 28-jährige Revolutionärin Wera Sassulitsch, Kampfname »Tantchen«, General Trepow zweimal in die Brust schießt.
    Trepow war verhasst. Er hatte die körperliche Züchtigung eines politischen Gefangenen angeordnet, obwohl dies in Russland zu dieser Zeit verboten war. Weil Sassulitsch angibt, sie habe den Gouverneur dafür gestraft, wird der Ruf nach Freiheit für die Attentäterin laut. Der Schriftsteller Fjodor Dostojewski, Zuschauer im Gerichtssaal, fordert ihre Freilassung. Als Sassulitsch von den Geschworenen freigesprochen wird, danach aber erneut verhaftet werden soll, wächst unter den Bürgern der Hauptstadt die Empörung.
    Selbst die Rekrutierung des »Superagenten« Jewno Asef durch die Staatssicherheit erweist sich als zweifelhafter Erfolg. Wie Stolypin-Attentäter Bogrow hatte Asef, Sohn einer armen jüdischen Familie, in Deutschland studiert. Nach seiner Rückkehr schleuste ihn die Ochrana in die Sozialrevolutionäre Partei ein. Der Spitzel stieg bis in deren Zentralkomitee auf.
    1903 verrät Asef den Chef des bewaffneten Arms der Partei, um selbst dessen Platz einzunehmen. Üppige Staatshonorare halten den angeblichen Revolutionär nicht davon ab, die Ermordung des Innenministers Wjatscheslaw Plehwe (1904) sowie des Moskauer Generalgouverneurs Großfürst Sergej Alexandrowitsch (1905), eines Onkels von Zar Nikolai II. , zu organisieren.
    Doch nicht nur Spitzel wie Asef trieben ein doppeltes Spiel. Mitunter pflegten Offiziere der Geheimpolizei ein zynisches Verhältnis zu Terroristen. »Wenn es keine Revolutionäre mehr gibt«, bangte etwa der Petersburger Ochrana-Chef Georgij Sudejkin, »dann sind auch keine Geheimpolizisten mehr nötig.« Sudejkin wollte Nachfolger von Innenminister Dmitrij Tolstoj werden. 1883 setzte er deshalb einen Agenten als Killer auf den Minister an. Der Plan wurde verraten. Am 28. Dezember 1883 starb Sudejkin in einer konspirativen Wohnung des Geheimdienstes, erschossen durch einen seiner Agenten.
    Die Ochrana-Methoden führten zur Verflechtung der Polizei mit kriminellen Kreisen. Bisweilen war unklar, wer wen unterwandert hatte: die Ochrana die Terroristen oder doch die Revolutionäre die Geheimen – als Verräter Ihrer Kaiserlichen Majestät?
    Das Problem ist Russlands Diensten bis heute nicht fremd. So gilt ein Oberstleutnant einer Fahndungseinheit der Moskauer Kriminalpolizei als Drahtzieher des Mordes an der Journalistin Anna Politkowskaja im Oktober 2006.
    Gegen Ende der Zarenherrschaft erkannten Ochrana-Strategen die Grenzen ihrer Macht. Nikolai Maklakow, der selbst den Zaren als Innenminister diente, zog eine bittere Bilanz: »Sterben kann man mit diesem Mann, nur retten kann man ihn nicht.« Zwei Jahre später wurde die Ahnung wahr: Die Bolschewiki erschossen Maklakow knapp zwei Monate nach dem Mord am Zaren.
    Die neuen roten Herrscher wissen um die Gefahren eines unkontrollierten Polizei- und Spitzelapparates. Während Felix Dserschinski, Gründervater des sowjetischen Geheimdienstes, 1917 die politische Polizei aufbaut, hat er die Erfahrung des alten Regimes stets vor Augen.
    Seine Truppe, die berüchtigte Tscheka, bezieht zunächst das alte Ochrana-Quartier in der Petersburger Gorochowajastraße. Die Bolschewiki kennen die Villa gut: In den Zellen im Keller saßen einst hochrangige Revolutionäre ein, unter ihnen Lenin. Dessen Nachfolger Stalin schafft eine

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