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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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Mitglieder der russischen Staatskirche, und sie wurden häufiger zum Armeedienst eingezogen. Zwar brachte es eine Minderheit zu Reichtum; zwar gelang es einigen in die russische Intelligenz aufzusteigen, Arzt zu werden, Anwalt oder Unternehmer. Aber die Mehrheit lebte in extremer Armut. »Luftmenschen« nannte man die ausgemergelten Gestalten, die vielerorts das Stadtbild prägten. Die soziale Not sei »so groß, dass sie wohl selten ihresgleichen findet«, heißt es in einem Bericht von Iwan Graf Tolstoi, der von 1905 bis 1906 russischer Erziehungsminister war. Tolstoi, einer der wenigen Besonnenen, trat damit einer wachsenden Zahl von Antisemiten entgegen, die behaupteten, die Juden würden die »Lebenssäfte der Bevölkerung aussaugen«, würden »fett und reich werden durch Ausbeutung«.
    Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatte sich die Abneigung gegen die Juden im Lande gesteigert. Bis hinauf in die Zarenfamilie fand der Antisemitismus Anhänger. »Überkommene antijüdische Vorurteile«, so der Göttinger Historiker Manfred Hildermeier, verschmolzen zunehmend »mit antikapitalistischen Ressentiments« und einer »irrationalen Aversion« gegen alles Neue. Juden galten als Wegbereiter der Moderne und damit als Gefahr für das absolutistische Zarenhaus, das viele – nicht nur in Russland – für das letzte Bollwerk gegen jene demokratischen Ideen hielten, die sich nach der Französischen Revolution in Europa ausbreiteten. Es war nicht mehr nur die jüdische Religion, die abgelehnt wurde, jetzt wurden die Juden als Menschengruppe dämonisiert.
    Schon unter Zar Alexander II. hatte es blutige Übergriffe gegen Juden gegeben, nach dessen Ermordung 1881 verschlechterte sich die Lage. 1905 entstand als Reaktion auf das Oktobermanifest, mit dem Zar Nikolai II. dem Ruf nach liberalen Reformen teilweise nachgegeben hatte, der »Bund des russischen Volkes«, eine extrem antisemitische und gewalttätige Organisation, auch »Schwarze Hundertschaft« genannt. Ihre paramilitärische Terrorgruppe drangsalierte und tötete Juden.
    »Die Schwarzhunderter waren im vollen Wortsinne Vorläufer der Nazis«, schreibt der britische Historiker Norman Cohn in seinem Standardwerk über »Die Protokolle der Weisen von Zion«. Sie verstanden sich als »wahre Russen«, und jeder auch noch so zaghafte Ansatz zur Liberalisierung des Zarenreichs wurde von ihnen als jüdische Verschwörung niedergemacht. Bald schon war der Bund die wohl stärkste politische Kraft der späten Zarenzeit. Seine Pamphlete wurden in Klöstern gedruckt, kirchliche Amtsträger bekannten sich zu ihm, Popen forderten im Gottesdienst, seine Ziele zu unterstützen, und auch der Zar betrachtete das Treiben der Rechtsradikalen mit Wohlwollen – Nikolai II. war bei den Schwarzhundertern Ehrenmitglied.
    Mit dem Erfolg dieser Bewegung wuchs auch der Zuspruch für antisemitische Verschwörungstheorien. Etwa für die des Deutschen Herrmann Goedsche. Goedsche war ein ehemaliger preußischer Postsekretär, der später als Redakteur der erzkonservativen »Kreuzzeitung« arbeitete und unter wechselnden Pseudonymen schlechte Romane veröffentlichte. In einem dieser Romane mit dem Titel »Biarritz« findet sich ein Kapitel, in dem Vertreter der zwölf Stämme Israels nächtens auf dem Prager Judenfriedhof auftreten und über die Eroberung der Welt beraten.
    Es dauerte nicht lange, bis Goedsches schwülstiges Schauerkonstrukt als Tatsachenbehauptung gelesen wurde und auch außerhalb Preußens glühende Anhänger fand. Ende des 19. Jahrhunderts erschien eine russische Ausgabe, die mehrere Auflagen erzielte. Goedsche war nicht der Einzige, der sich in wilden Konspirationsphantasien erging. Und beliebt waren diese Wahnprodukte auch nicht nur in Russland oder Deutschland. Schon 1797 hatte ein Abbé Augustin Barruel die Französische Revolution als Inszenierung von Freimaurern und Philosophen gedeutet. Die Phantasmen des französischen Geistlichen wurden ein großer Erfolg und in mehrere Sprachen übersetzt.
    Ergänzt wurde dessen fünfbändige Verschwörungstheorie durch den Brief eines gewissen Hauptmann Jean-Baptiste Simonini aus Florenz. Schlimmer noch als all die anderen geheimen Sekten seien die Juden, schrieb der an Barruel. Wahrscheinlich hat es einen Hauptmann Simonini gar nicht gegeben. Indizien sprechen dafür, dass der Brief ein Produkt der französischen Polizei ist, um Napoleon gegen die Juden einzunehmen. Aber der vorgebliche Simonini und Abbé Barruel fanden großen Anklang,

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