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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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trieb ein Toter zwischen den Eisschollen in der Newa in Petersburg. Sein Gesicht war entstellt, der Schädel eingedrückt, das rechte Auge hatte man ihm ausgeschlagen. Mehrmals war auf ihn geschossen worden. Dennoch hatte der Mann im Wasser noch gelebt und versucht, seine Fesseln abzustreifen. Der Tote war Grigorij Rasputin. In ihrem Bericht schrieb die Polizei, in den Tagen nach dem Leichenfund seien viele Menschen ans Ufer gekommen, um mit Krügen und Eimern Wasser aus dem Fluss zu schöpfen – und mit dem Wasser die Kraft des Toten, von der man sich überall Wunderdinge erzählte.
    Über keinen anderen russischen Bauernsohn ist mehr fabuliert worden als über den 1869 im westsibirischen Dorf Pokrowskoje geborenen Rasputin. »Starez« nannte er sich selbst, Bettelmönch. Eine theologische Ausbildung hatte der religiöse Autodidakt nicht. Wie aus diesem frommen Landstreicher aber einer der einflussreichsten Männer Russlands werden konnte, der postum besungene »Lover of the Russian Queen« (Boney M.) – das gilt als einer der populärsten Mythen des 20. Jahrhunderts. Bei allen Unterschieden in den Erinnerungen war unstrittig, wie mächtig der Volksprophet in wenigen Jahren geworden war: Rasputin soll Ämter und Würden und sogar Ministerposten vergeben haben, gern auch gegen Geld oder Gefälligkeiten von Frauen. Der hoffnungslos abergläubischen Zarenfamilie diente er als Beichtvater, Gesundbeter und Berater. Der aus hessischem Adel stammenden Zarin Alexandra Fjodorowna stand er womöglich auch für mehr zur Verfügung (»Sehne mich furchtbar nach dir.«).
    Historiker sehen allerdings keinen sicheren Hinweis auf eine sexuelle Beziehung des Erotomanen zur Kaiserin. Mit dem sibirischen Bauern und der Zarenfamilie waren sich Herrschaft und Volk zwar so nahegekommen wie selten. Die Adelskaste oszillierte damals in einem Delirium aus Melancholie, Intrigen und Endzeitstimmung. Sein Ende markierte aber gleichzeitig das Finale des Zarenreichs. In seinem Dorf galt Rasputin als Trinker und Dieb. Irgendwann begann er, von Kloster zu Kloster zu wandern. Ende 1903 taucht er in St. Petersburg auf, wo ihm ein angesehener Geistlicher einen »wahren Glauben« bescheinigt. Rasputin gerät schließlich an den Hof des Zaren, wo ein ausgeprägter Hang zu Heilsverkündern ihm den Boden bereitet hat. Nikolai II. ist von ihm stark beeindruckt.
    Als beim jungen Zarewitsch Alexej, der an der Bluterkrankheit litt, im Herbst 1907 eine innere Blutung diagnostiziert wird und die Ärzte ihn bereits aufgegeben haben, wird Rasputin gerufen. Der Wunderheiler segnet das Zimmer, murmelt Gebete – und der Junge gesundet. Spätestens seit diesem Tag ist Rasputin am Zarenhof unentbehrlich. Die Zarin sieht ihn als Gottgesandten. Frauen der feinen Gesellschaft sind von ihm entzückt. Seine überspannte Ergebene Olga Lochtina, Ehefrau eines Zarenbeamten, soll eines Morgens beim Tee mit Freunden sein Glied gepackt und gekreischt haben: »Du bist Gott. Ich bin dein Lamm.«
    Der bärtige Bauer hat jedoch auch Feinde. Im November 1916 eskaliert der Streit schließlich in der Duma. »Finstere Kräfte«, tönt der durch seine antisemitische Hetze bekannte ultrarechte Abgeordnete Wladimir Purischkewitsch, regierten das Land. »Dies alles geht von Rasputin aus. Die Existenz des Reiches ist bedroht.« So denken viele in hofnahen Kreisen, auch die bisexuellen Aristokraten Felix Jussupow und Großfürst Dmitrij. Zusammen mit Purischkewitsch ersinnen sie im Dezember 1916 ein Mordkomplott.
    Rasputin nimmt eine Einladung Jussupows an, der versprochen hat, ihm seine attraktive Frau vorzustellen. Doch statt der Dame kommen die Mörder. Sogar nach deren Schüssen bleibt Rasputin zunächst noch am Leben – erst im Eiswasser der Newa ertrinkt er. Die Bluttat legte die Zerrissenheit der Romanows offen: Viele Familienmitglieder forderten in einem Bittbrief, das Attentat als patriotische Tat zu würdigen. Das lehnte der Zar zwar ab, aber Jussupow, der später ungestört in Paris lebte, wurde nur auf einen Landsitz verbannt. Man habe ihren Vater, schrieb Maria Rasputin später, einen »Mädchenschänder«, »Spion«, »heiligen Teufel« und »Pferdedieb« genannt. Tatsächlich sei er ein »Prügelknabe« gewesen. Für andere.

Vom Wahn zum Mord
    Nirgends war der Judenhass um 1900
so gewalttätig wie in Russland. Von hier aus gingen
die »Protokolle der Weisen von Zion« um die Welt –
jene obskure Verschwörungstheorie, derer sich
später auch die Nazis bedienten.
    Von

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