Die Herzogin der Bloomsbury Street
soll. Was soll ich mit einem Notizbuch, das ich nicht benutzen kann? Immer wieder setze ich mich auf diese Weise in die Nesseln.
Barry klingelte um Punkt zwölf und fuhr mich zum Hotel. Er sagte, ich solle ihn mal in seinem Krankenhaus besuchen, wenn ich je in der Gegend wäre, es sei das St. Bartholomew’s, sagte er, und ich solle bei dem Henry- VIII .-Tor reingehen und mir die Kapelle ansehen, sie sei schön. Ich schrieb seinen Namen – Barry Goldhill – in das entweihte Notizbuch und fragte ihn, was sein Fachgebiet sei. Er sagte: »Gynäkologie.« Ich sagte: »Zu spät, Schätzchen, da kann ich dir nichts mehr bieten.«
Samstag, 17 . Juli
Ein Brief für mich, Absender Rutland Gate. Er ist zurück.
Erwarte Sie hier am Montag, 19 ., Punkt elf zum Sherry mit Charles II . und Lunch mit Charles Dickens.
In Eile –
P.B.
Ich hielt es für angeraten, mir schnell einige Kenntnisse über Dickens anzueignen, und ging nach dem Frühstück zum Dickens House in der Doughty Street. Es ist nicht weit entfernt vom Russell Square, aber bisher hat mich Dickens nicht genügend interessiert, deswegen bin ich nicht hingegangen – was man hier aber niemandem sagen darf, es ist geradezu ketzerisch, Dickens nicht zu mögen, denn hier ist Dickens der nationale Hausgott.
Abgesehen von P B. hat kein einziger Londoner mir gegenüber je Shakespeares Pub erwähnt. Keiner spricht von den Orten in der Stadt, die an Pepys erinnern, niemand erwähnt die Wimpole Street – und niemand weiß, wovon man spricht, wenn man nach dem Haus fragt, in dem Shaw seine »grünäugige Millionärin« umwarb. Aber jeder in London kann einem sagen, wo Mr. Pickwick gespeist hat und wo der Old Curiosity Shop ist, und ständig bekommt man zu hören: Sie müssen sich unbedingt das Haus in der Doughty Street ansehen, wo
Oliver Twist
geschrieben wurde, und: Das hier ist Camden Town, wo Bob Cratchit gelebt hat, und: Der Portier zeigt Ihnen, wo Dickens
Große Erwartungen
geschrieben hat.
Doughty Street gehört zu den Straßen mit diesen hübschen, schmalen Backsteinhäusern, von denen ich jedes Mal ergriffen bin. Das Dickens House ist größtenteils noch so möbliert wie zu seinen Lebzeiten, und in dem Zimmer hinten im Haus, wo er gearbeitet hat, steht eine vollständige Erstausgabe seiner Werke. Überall gibt es dicht an dicht Vitrinen mit Dickens-Erinnerungsstücken – Briefe, Zeichnungen, Cartoons, Theaterprogramme, wo sein Name unter den Darstellern auftaucht. (Wusste gar nicht, dass er ein so begeisterter Amateurschauspieler war.) Alle Touristen, die das Haus besichtigten, die meisten aus dem »Vereinigten Königreich«, kannten alle Gestalten und Episoden, die in den Zeichnungen und Cartoons dargestellt wurden. Einfach unglaublich.
Zum Lunch ging ich ins Tanjar, das Curry-Restaurant in der Charlotte Street, und streifte dann auf der Suche nach Ellen Terrys Asche in Covent Garden umher. Die Kirche heißt St. Paul’s Covent Garden, aber wenn man bei den Markthallen ankommt, ist da keine Kirche. Ich wanderte umher, blickte auf meinen Stadtplan und wieder auf Covent Garden Market vor mir. Ein junger Mann mit einem braunen Bart rauschte an mir vorbei, wirbelte herum, kam zurück und fragte:
»Verirrt, Teuerste?«
Ich sagte, ich suche die Schauspieler-Kirche, und er fragte: »Sind Sie Schauspielerin?«
Ich sagte nein, aber ich sei in meiner Jugend eine erfolglose Stückeschreiberin gewesen und hätte den Briefwechsel zwischen Shaw und Terry mit Vergnügen gelesen und wolle nun Ellen Terrys Asche sehen.
»Wie liebenswert von Ihnen«, sagte er. »Außer anderen Theaterleuten guckt sich niemand unsere Kirche an.«
Er ist Schauspieler. Ohne Arbeit. Er sagte: »Gehen Sie einfach weiter um die Markthallen herum, bis Sie zu einer schmalen Straße kommen, überqueren Sie sie und gehen Sie um die Ecke, und dann sehen Sie die Kirche.«
Ich dankte ihm und wünschte ihm Glück, und er sagte: »Ihnen auch viel Glück, Teuerste«, und rauschte davon – und als ich ihm nachsah, ärgerte ich mich über mich selbst, weil ich ihn nicht nach seinem Namen gefragt hatte. Die Menschen sollten nicht in das Leben anderer hineinrauschen und nach zehn Sekunden wieder entschwinden, ohne auch nur ihren Namen zu hinterlassen. Wie Mr. Dickens einmal sagte: Wir sind schließlich alle miteinander unterwegs zum Grab.
Ich bahnte mir einen Weg durch das faulende Obst und Gemüse, das auf dem Bürgersteig vor den Hallen lag, ging zur Ecke und kam zu der schmalen
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