Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
beobachte, wie die Wellen in der Abendsonne träge ans Ufer schwappen, als seien sie von ihrer Tagesarbeit ermüdet und genössen nun den Abendfrieden. Ab und zu schweift mein Blick auch zum Hafen, wo zwischen den Segel-, Fischer- und Ruderbooten seit gestern die zwei Riesenmaste Thalons, unseres neuen Schiffs, hochragen. In achtzehn Tagen tritt es seine Jungfernfahrt an, denn dann wird Alf mit ihm nach Gotland segeln.
Plötzlich stört vom Strandweg her ein Hufschlag die Beschaulichkeit. Der Reiter biegt ab, schlägt meine Richtung ein - es ist Alf. Geschwind meine Sandalen an die Füße, laufe und rufe ich ihm entgegen: „Hallo, Alf! Haben wir uns lange nicht gesehen!“
Er jedoch grüßt vom Pferd herab nur knapp zurück und reicht mir dann die Hand: „Steig hinten auf, Suava, ich soll dich zur Residenz bringen.“
„Zur Residenz?“, wundere ich mich, während ich hinter ihn auf den Pferderücken klettere, „will Isolf mich sehen?“
„Nein, die Fürstin selbst.“
D ie Fürstin selbst, welche Ehre, welche Freude. Alf weiß sicher, worüber sie mit mir sprechen will, ich mag ihn aber nicht danach fragen, denn er verhält sich in letzter Zeit sonderbar, ich hatte sogar den Eindruck, er ging mir aus dem Weg. Weiß er etwas, das er mir nicht sagen darf?
Erwartungsvoll betrete ich die Privatstube der Fürstin. Sie empfängt mich zwar freundlich, wirkt jedoch bedrückt und bietet mir wortlos auf einem Hocker Platz an. Während ich mich setze, lässt sie sich mir gegenüber in ihrem breiten Kissenstuhl nieder, und nun überschattet sich ihr feines, schönes Greisengesicht, das ich so oft schon gemalt habe, noch dunkler. Offensichtlich will sie mir etwas mitteilen, das ihr schwer fällt. Was immer das ist, sie tut mir Leid, ich möchte ihr helfen, weshalb ich sie verständnisvoll anlächle.
Darauf zieht sie meine Hände in ihren Schoß und findet den Anfang:„Suava, mein liebes Kind, was ich dir jetzt kundtun muss, habe ich mit allen Mitteln zu verhindern versucht, aber auch die Macht einer Fürstin ist begrenzt. Es geht um Isolf. Eigentlich wäre diese Mitteilung seine Pflicht, doch dazu fehlt ihm schändlicherweise der Mut.“
Wie zum Kraftschöpfen legt sie eine Pause ein, um anschließend deutlicher zu werden: „Suava, trotzdem Isolf dich mit Gewissheit noch liebt, hat er sich von dir losgesagt. Bereits einen Tag nach Ostern hat er mir klarzumachen versucht, dass er sich zum Wohl unseres Stammes besser um eine standesgemäße, also Ragna-gefällige Jungfer bemühen müsse, und das werde er umgehend tun. Ich durfte ihm meine Erlaubnis dazu nicht verweigern, so gern ich es deinetwegen auch getan hätte. Ja, und damit, mein liebes Kind, ist eure Verlobung gelöst.“
Ich glaube, mich verhört zu haben, „nein“, bringe ich entsetzt heraus, worauf mich die Fürstin nur mitleidig anblickt. Ich werde lauter: „Nein!“, springe vom Hocker hoch, gehe rückwärts zur Tür, „nein! Isolf, wo ist Isolf? Das will ich von ihm selber hören, das soll er mir ins Gesicht sagen!“
„Suava, bitte - Suava, warte doch . . “
Ich aber habe ihrer Stube schon verlassen und renne, nach Isolf rufend, über den Flur zur Treppe. Dort versperrt mir Alf den Weg.
„Lass mich durch!“, schreie ich ihn an, rufe weiter nach Isolf und versuche, mich an Alf vorbeizudrängen, doch er hat mich fest umklammert und redet auf mich ein:
„Still, Suava, gib Ruhe und hör mir zu.“
Er muss gehörige Kraft aufwenden, um mich zu bändigen, doch schließlich gebe ich nach.
Während er mich die Treppe hinabführt, höre ich ihn sagen: „Isolf ist gar nicht hier, und dich bringe ich jetzt besser aus dem Haus.“
W ir gehen zu Fuß zur Werft, ganz langsam am Strand entlang. Nach einer Weile führt Alf mich zu einem kleinen Felsvorsprung, auf den wir uns niederlassen.
Wie ich endlich wieder sprechen kann, will ich von Alf erfahren: „Hat sich Isolf schon eine göttergefällige Edle ausgewählt?“
Darauf wendet er mir verwundert sein Gesicht zu: „Wie? Das hat dir die Fürstin nicht mitgeteilt?“ Dann bringt er kaum hörbar hervor: „Er wird um Idun freien.“
„Aber, das . . “
„Schon nächste Woche wird er nach Gotland segeln, natürlich mit dem neuen Schiff.“
Ich kann es nicht glauben: „Aber das - aber Idun ist doch deine . . Oh, jetzt verstehe ich, ein wirklich perfekter Plan.“ Zornestränen steigen in mir hoch, während ich Alf energisch anrege: „Das darfst du dir nicht gefallen lassen. Er will dich doch vor unserem Stamm
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