Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
mit rotsilbern bemalten Äffchen verziert, und ihr war, als begafften die Tiere sie, als überschlugen sie sich fast vor Spott über ihren Anblick. Kein Wunder – sie sah furchtbar aus. Zwei dünne Beine, Hüften, die den Namen nicht verdienten, ein flacher Busen, ein Gesicht, das man vergaß, noch während man es betrachtete.
Mit gerunzelten Brauen versuchte sie, etwas Hübsches an sich zu entdecken. Es war schwer, wenn nicht unmöglich. Sie besaß nicht einmal Locken und musste ihre Haare mit Hilfe eines Papillotiereisens kringeln. Das war eine aufwendige Prozedur, deren Ergebnis zudem durch den ersten Regenguss zunichtegemacht wurde. Und das, wo Marsilius Locken so liebte. Wie oft hatte sie ihn schon während der Abendmahlzeit mit den Fingern durch Ediths wallende Pracht fahren sehen.
Und dann dieses Kinn! Sophie fuhr mit dem Finger darüber. Es wirkte wie eine Kampfansage. Als willst du jemand damit aufspießen, hatte Stephan Engels spaßeshalber einmal gesagt, der Cousin, mit dem sie einen Sommer lang durch die Ställe gestromert war, bis Ursula sie erwischt und ins Musikzimmer verbannt hatte. Wenn der Schöpfer mich nicht so haben wollte, hätte er mich nicht so erschaffen, versuchte sie sich zu trösten, aber das hatte nicht einmal geholfen, als die Worte aus dem Mund ihrer Mutter gekommen waren.
Immerhin trage ich seinen Sohn unter dem Herzen, munterte sie sich auf. Ihr Blick glitt zu ihrem immer noch flachen Bauch, und da drängte ein unangenehmer Gedanke in ihren Kopf: Was, wenn sie eine Tochter gebar? Seltsam, dass niemand diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen schien. Weder ihre Eltern noch das Gesinde und vor allem Marsilius nicht, der erst gestern einen Kindersattel in Auftrag gegeben hatte. Was würde geschehen, wenn sie ein Mädchen auf die Welt brächte? Ob Marsilius sich damit abfinden und es ebenso lieben würde, wie ihr Vater seine Töchter liebte? Oder würde er ein Mädchen enttäuscht von sich stoßen?
Ach je, bis dahin war es noch ein langer Weg. Sie drehte den Kopf und musste feststellen, dass die Locken sich schon wieder in die Länge zogen. Aufgebracht zog sie ihrem Spiegelbild eine Fratze. Sie hasste die komplizierten Frisuren, die gerade in Mode waren. Sie hasste die Mieder, die betonten, wie wenig Busen sie besaß. Sie hasste die Rüschen daran. Sie hasste die bestickten Schuhe, die den Straßenschmutz anzogen. Sie hasste … Vor allem hasste sie Edith, die immer wie aus dem Ei gepellt wirkte, als hätte die Natur ihr eine zweite Haut aus perfekt sitzender Kleidung geschenkt.
»Ich bring die Wäsche, Herrin.«
Die Stimme in ihrem Rücken ließ Sophie zusammenfahren. Sie erblickte im Spiegel die rundliche Gestalt von Josepha. Das Gesicht der Magd war erhitzt, weil sie den Korb mit der Wäsche über die Treppe hinaufgeschleppt hatte. Josepha besorgte Dirk Wolpmann den Haushalt, das war alles, was Sophie über sie wusste. Und dass sie mit zwei weiteren Mägden die Kleider der Burgbewohner wusch, natürlich. Sie war eine Frau, die man schwer einordnen konnte. Ihre Augen waren klein, und zwischen ihnen stand ständig eine Falte, als würde sie etwas missbilligen. Aber in ihrem Lächeln – wenn sie denn einmal lächelte, was selten geschah – lag eine ganze Welt voller Wärme.
»Ich leg sie in die Truhe, wenn es recht ist«, murmelte sie und begann, Hemden und Strümpfe, die sie sorgsam gefaltet hatte, in Sophies Hochzeitstruhe einzuordnen. Ihre Hände waren mit Warzen übersät, und es war Sophie unangenehm, das feine Linnen über die hässlichen Knubbel gleiten zu sehen. Außerdem ärgerte sie sich, dass die Frau sie bei dem kritischen Blick in den Spiegel ertappt hatte. Sie wusste, dass es eine verschworene Gemeinschaft in der Burg gab, die sich auf Ediths Seite geschlagen hatte. Gehörte Josepha dazu? Würde sie ihr erzählen, wie unzufrieden die Herrin mit ihrem Aussehen war?
Sophie ging zur Fensternische neben dem Spiegel, stieg die Stufen hinauf und setzte sich auf das Bänkchen, das in die Mauer eingelassen war. Trotz der Kälte stieß sie das Fenster auf. Die Luft war in den Wintermonaten so verräuchert, dass man es kaum aushalten konnte. Unten im Hof lag der Schneematsch, in den ein plötzlicher Temperaturanstieg die weiße Schneedecke verwandelt hatte. Sie nahm ihre Stickarbeit zur Hand, auf die sie nicht sonderlich erpicht war, die ihr aber im Moment als geeignetes Mittel erschien, die Finger zu beschäftigen.
Josepha war mit ihrer Arbeit fertig und erhob sich
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