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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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restlichen Scheite in den Korb. »Ich werde mich bei meinem Ehemann beschweren«, flüsterte Sophie. Jünger, dümmer und unbeholfener als in diesem Moment war sie sich während der ganzen vier Monate auf der Wildenburg nicht vorgekommen.
    Verstört blickte sie sich noch einmal nach Josepha um, konnte sie aber nicht entdecken.
    Als sie in den Palas zurückkehrte, musste sie an den einzigen Bären denken, den sie jemals erblickt hatte. Das war im Herbst 1629 gewesen, im Mechenicher Wald, als sie gemeinsam mit ihrem Vater und einer Jagdgesellschaft aus Freunden und Verwandten auf Wildschweine gegangen war. Sie war vorausgesprengt, und Vater hatte ihr einen der Jäger nachgeschickt, der sie wieder einfangen und ein Auge auf sie haben sollte. Plötzlich tauchte der Bär aus einem Gebüsch auf. Sie war vor Schreck wie erstarrt gewesen. Natürlich hatte sie gewusst, dass es vereinzelt Bären in der Eifel gab, aber das reale Tier an einem realen Nachmittag unter realen Bäumen … Es war, als wäre eine der Gruselgeschichte, die das Gesinde am Herdfeuer erzählte, plötzlich Wirklichkeit geworden.
    Der Jäger hatte seine Arkebuse gehoben und der Bär sich aufgerichtet. Sie selbst stand wie vom Donner gerührt vor einem Busch. Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Schuss sich löste, und eine zweite Ewigkeit, bis der Jäger das Tier, das sich im Todeskampf wälzte, mit dem Sauspieß erledigt hatte. Was sie nie vergaß, war die Ruhe im Auge des Mannes, mit der er die Gefahr einschätzte und ihr begegnete. Abgesehen von der Schwärmerei, mit der sie ihn die nächsten Monate verfolgt hatte, war ihr von dem Erlebnis vor allem das Gefühl geblieben, dass man umso kühler sein musste, je größer die Gefahr war, der man gegenüberstand. Und genau das wurde jetzt von ihr gefordert: kühler Mut angesichts einer bedeutenden Gefahr.
    Während sie in ihrer Kammer auf und ab lief, schmiedete sie Pläne. Als Erstes: Sie musste mit Marsilius sprechen und dafür sorgen, dass Edith ihr nicht weiter auf der Nase herumtanzte. Wenn sie das jetzt nicht schaffte, in der Zeit, in der die Schwangerschaft ihn weich machte, dann würde es ihr nie gelingen. Ihr war klar, wie groß die Macht war, die Edith mit den goldenen Flechten und den starken Schenkeln über ihren Mann besaß. Und deshalb musste sie aus der Burg verschwinden. Und zwar für immer! Als Zweites …
    Sie erwog und verwarf immer neue Pläne. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass sie einfach loslegen musste, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Also ließ sie sich das Essen nicht wie gewöhnlich in ihre Kammer tragen – sie hatte sich schon viel zu sehr zurückgezogen! –, sondern ging in die Küche, um ähnlich wie Mutter Anweisungen zu geben, wie der Tisch zu decken sei und welche Speisen aufgetragen werden sollten, wenn Marsilius heimkam. Sie würde gemeinsam mit ihm speisen. Ihr Ehemann sollte sehen, dass sie Wert auf seine Gesellschaft legte und sich für das, was er tat, interessierte. Erstaunlicherweise gab es keine Widerworte vom Gesinde. Na bitte! Man musste nur resolut genug auftreten.
    Anschließend schickte sie Gesche, eine der Mägde, von denen sie glaubte, ihnen vertrauen zu können, auf die Suche nach Josepha. Sie wollte wissen, was Dirks Haushälterin ihr hatte zeigen wollen – auch wenn es wahrscheinlich belanglos war. Leider war das Weib nicht aufzutreiben.
    »Ich hab jedes Eckchen in der Burg abgesucht. Wenn sie sich nich in ’ne Maus verwandelt hat, is sie irgendwo draußen«, befand Gesche, als sie Sophie Bericht erstattete. »Was wollt Ihr denn von ihr, Herrin?«
    Gesche war ein merkwürdiges Geschöpf, hoch gewachsen, größer als viele Männer, mit einem Pfannkuchengesicht und einem stämmigen Körperbau, der sie aussehen ließ, als könnte sie es im Ringen mit jedem Kerl aufnehmen. Über der Oberlippe und am Kinn wuchsen dunkle Schnurrbarthaare. Was aber vor allem an ihr auffiel, war das Selbstbewusstsein, mit dem sie Befehle entgegennahm und sie gelegentlich sogar – wie gerade jetzt – nach ihrem Sinn hinterfragte.
    Sophie merkte, dass sie lächelte. Sie mochte die Frau, die in der von Intrigen eingesponnenen Burg wie ein frischer Windstoß wirkte. Außerdem war Gesche ebenfalls erst seit kurzem in der Burg, seit zwei oder drei Monaten. Sie befanden sich also beide in derselben unkomfortablen Außenseiterrolle. Einen Moment erwog sie, sich ihr anzuvertrauen, doch dann ließ sie es sein. Sie hatte bisher ja kaum ein paar Sätze mit ihr gesprochen.

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