Die Hexe von Freiburg (German Edition)
grunzenden Stöhnen. Wie ein Schraubstock hielt er sie umklammert und versuchte, sie auf den Mund zu küssen.
Catharina wusste nicht, woher sie auf einmal ihre Kraft nahm. Sie drehte und wand sich, bis sie seinen kräftigen Armen entkommen war, und schlug ihm dann mit voller Wucht ins Gesicht. Aus seiner Nase lief ein dünner Streifen Blut.
«Das wirst du mir büßen», brüllte er.
Catharina lief zur Kommode, riss hastig ihre Kleider heraus und zog sich an. Sie würde keinen Moment länger hier bleiben.
Der Vater stand hinter ihr, als sie fertig zum Gehen war. «Was war los?»
«Johann – dieser Hundsfott …» Unter Schluchzen berichtete sie, wie sich ihr Stiefbruder ihr genähert hatte.
«Ich will nie wieder hierher kommen – nie wieder.»
Das Gesicht ihres Vaters wirkte hilfloser denn je.
«Das darfst du nicht sagen, Cathi. Ich verspreche dir, ich rede mit Johann. Der Junge muss aus dem Haus, ich werde ihm einen Lehrherrn suchen.»
Hiltrud warf ihrer Stieftochter einen höhnischen Blick zu, als Catharina sich wortlos an ihr vorbeidrückte und die Haustür aufstieß.
«Stell dich nicht an wie ein adliges Fräulein», rief sie ihr nach. «Was hat er schon getan? Junger Most muss sausen und verbrausen.»
Catharina beruhigte sich erst, als sie die Landstraße erreichte. Wieso ließ ihr Vater das zu? Und wieso sagten die Leute, dass ihre Mutter eine Zigeunerin sei? Sie wusste, dass es hier am Oberrhein viele Leute gab, die so dunkel waren wie sie. Ihr Vater hatte das einmal damit erklärt, dass der Rhein ein uralter Handelsweg sei, auf dem bis heute Menschen aus den südlichen Ländern kamen, um Handel zu treiben oder im Norden ihr Glück zu versuchen, und manche hätten sich dann hier in der Gegend niedergelassen. Sie war sich nie fremd vorgekommen mit ihren glänzenden schwarzen Haaren und dunklen Augen, im Gegenteil, sie war stolz darauf, dass sie in dieser Hinsicht ihrer Mutter glich.
Jedes Mal, wenn ein Fuhrwerk den Weg entlangkam, wirbelte es Staub von der trockenen Straße, der sich auf ihre verschwitzte Haut legte. Es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet, und heute schien es, als würde sich die Hitze aller vergangenen Tage zusammenballen. Der Himmel war wie Blei, Blätter und Grasspitzen regten sich nicht. Selbst die Vögel und Grillen blieben stumm.
Plötzlich raschelte es am Wegrand. Catharina glaubte, ihr Herz müsse aufhören zu schlagen: Unter der Linde, an das Bischofskreuz gelehnt, kauerte ein feuerroter Zwerg. Er streckte ihr eine zitternde knochige Hand entgegen. Sie wollte losrennen, aber wie unter einem Bann blieb sie vor dem winzigen Greis stehen. Er trug einen leuchtend roten Umhang mit Kapuze, seine schmutzigen Beine steckten in zerschlissenen Bundschuhen. Das Entsetzlichste aber war sein Gesicht: Über den blatternarbigen Wangen lagen leere Augenhöhlen, von faltigen Lidern verschlossen.
«Hab keine Angst, junges Ding, und gib mir ein Almosen.» Der Zwerg hatte eine Kinderstimme wie ihre kleinen Vettern.
Wieder wollte Catharina nichts lieber als weglaufen, fragte aber stattdessen fassungslos: «Woher wisst Ihr, dass ich jung bin?»
Der Zwerg wandte sein Gesicht von ihr ab. «Nur weil ich keine Augen mehr habe, heißt das nicht, dass ich nichts sehe.»
Sie schwiegen für einen Moment. Von Westen her hörte man dumpfes Grollen.
«Gib mir einen Pfennig oder eine Kleinigkeit zu essen, und du wirst mehr über dich erfahren, als deine Mutter und dein Vater über dich wissen können.»
Außer ihrem Wäschebündel hatte sie aber nichts dabei, und zudem wollte sie an diesem Tag nicht noch mehr schlimme Dinge zu hören bekommen. Trotzdem – vielleicht konnte ihr diese unheimliche Begegnung nützlich sein.
«Ist es wahr, dass meine Mutter eine Zigeunerin war?»
Der Alte lachte wie eine kranke Ziege. «Ich seh schon, du hast nichts, was du mir geben könntest. Das macht nichts, reich mir deine Hand, damit ich dich fühle. Ja, so ist es gut. Deine Mutter war eine Frau mit einem großen Herzen, die viel zu früh gestorben ist. Du wirst bald so schön sein wie sie. Dann aber wirst du langsam verwelken und vertrocknen an der Seite eines stattlichen Mannes.»
Der Alte ließ ihre Hand los und schwieg. Catharina bat ihn, weiterzusprechen, obwohl sie den Sinn seiner Worte nicht recht verstand. Der Zwerg zögerte.
«Es ist nicht immer gut, alles bis zum Ende zu wissen. Außerdem kann ich mich irren.»
Jetzt war sie erst recht neugierig geworden. Sie bedrängte ihn, bis er zu einer
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