Die Hexe von Hitchwick
merkwürdig waren, wie das, was sie soeben gehört hatte. Sie blickte wieder den Fremden an, der eigentlich keiner mehr war, da er sich nur einen Moment zuvor als Pfarrer Peter Higgins vorgestellt hatte.
„Verzeihen Sie bitte, aber sind S ie nicht sehr jung für einen Pfarrer?“, konnte sich Morgan die Frage nicht verkneifen und sprach damit gleichzeitig Sug aus der Seele.
Das braune, leicht gewellte Haar fiel ihm in die Stirn , als er herzlich auflachte. Seine breite Brust strafte sich unter dem dunkel grünen Wollpullover, der ihm unglaublich gut stand, ebenso wie die ausgewaschene, gut sitzende Jeans. Das war ein Pfarrer, ein echter Pfarrer? Bis jetzt hatte Sug nur Männer des Glaubens kennengelernt, die extrem dünn und fahrig oder ziemlich gut genährt und etwas sehr reif waren. Weder machte Pfarrer Higgins den Eindruck ein hochgeschlossener Puritaner, noch ein Sandalen tragender Christen-Hippie zu sein.
„Kleine Gemeinde, uralte Kirche, dementsprechend muss auch der Pfarrer sein . Zudem denken sie wahrscheinlich, ein Pfarrer müsste immer in Dienstkleidung rumlaufen. Was zur Folge hat, dass ich so gar nicht ihrem Bild von einem Mann Gottes entspreche.“
„Sind S ie denn nicht immer im Dienst?“, fragte Morgan einen Hauch zu bissig, denn sie hasste es, wenn man ihr Unwissenheit und Voreingenommenheit unterstellte, immerhin fand sie sehr wohl, dass er ihrem Bild eines Geistlichen entsprach. Eines Geistlichen, der den Protagonisten in einem Liebeskitschfilm spielte.
„Auch ich habe manchmal fre i“, antwortete er lächelnd, wenngleich in seinen Augen die Herausforderung funkelte.
Irgendwas, oder irgendwer, läuft hier gerade in die falsche Richtung , dachte Sug alarmiert.
„Wäre es möglich, dass Sie uns einen Einblick in das Kirchenbuch ermöglichen?“, fragte Sug.
„Aber natürlich, auch wenn ich mir nicht denken kann, wie ihnen das bei der Suche nach Jasmine helfen könnte“, sagte der Pfarrer und schritt an ihnen vorbei zur Kirchenpforte.
Morgan und Sug drehten sich um, bereit ihm zu folgen, da stockte Morgan, griff nach Sugs Arm und drückte ihn leicht. Mit großen Augen blickte sie Sug an, dann sah sie kurz zur Kirche und wieder zu Sug. Sug nickte. Sie irrte sich also nicht, die Kirche hätte eigentlich noch viel weiter entfernt sein müssen.
Weglaufen ist wohl nicht drin , dachte Morgan, atmete tief ein, bemüht ihre Fassung wiederzufinden.
„Wir müssen jeder Spur folgen, wie klein und nichtig sie auch immer erscheinen mag“, sagte Morgan, nicht nur um den Pfarrer eine Antwort zu geben, sondern auch , um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
„Ich verstehe, es geht sicher um die anderen Fälle von verschwundenen Mädchen.“
„Sie wissen davon?“, fragte Sug erstaunt, schließlich schien er zu jung, um Zeuge gewesen zu sein.
Sug schüttelte den Kopf über ihre eigene Unüberlegtheit, ein Dorf blieb ein Dorf und Tratsch blieb Tratsch.
„Das könnte man so sagen. Es gibt nur wenige Geheimnisse in der Gemeinde, die Geheimnisse bleiben“, sagte der Pfarrer und zog einen betagten, großen Schlüssel aus seiner Hosentasche.
Morgan stutzte, irgendwas in der Art, wie der Pfarrer geantwortet hatte, war merkwürdig.
Er wusste mehr!
Hatte eines seiner Schäfchen gebeichtet, sich den Schmutz von der Seele geredet?
Wie schon das Tor ließ sich auch die Kirchentür, die wahrlich verblüffende Ähnlichkeit mit einer Pforte hatte, nicht ohne widerstrebende Geräusche öffnen. Sie quietschte nicht, sie krächzte tief, man konnte ihr jedes Jahrhundert förmlich anhören. Wären Schwaden von Rauch und Schwefel durch den sich schnell erweiternden Schlitz zwischen den Flügel der Tür gedrungen, hätte das Morgan nicht weiter gewundert. Die schwere dunkle Kirchentür, mit ihren furchteinflößenden Abbildern von gequälten Seelen, schien eine der Pforten zu Hölle zu sein.
Es roch nach kaltem, nassen Stein und feuchtem Holz. Sug und Morgan kniffen die Augen zusammen und starrten in das düstere Innere. Ihre Augen brauchten einige Zeit , bis sie sich an das schwache Licht gewöhnt hatten. Erstaunlicherweise war die Kirche gar nicht so klein, wie sie von außen wirkte, was sie allerdings kein bisschen einladender machte.
Das dunkle Holz der Bänke verschluckte den Großteil des spärlichen Lichts. Es war ein schmuckloser Ort, soweit Morgan das beurteilen konnte. Der einzige Prunk, wenn man das so nennen wollte, bestand in zwei Kandelaber und einem Kreuz, die auf dem Altar standen.
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