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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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wie ein herzogliches Wappen aus. Die Dame erteilte Befehle, und die Kutsche fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon, um ein Haar eine Gruppe lungernder Träger verfehlend, die neben zwei leeren Sänften auf weitere Kundinnen der Wahrsagerin warteten. Mutter blickte selbstzufrieden drein: Sie liebte es, zur eleganten Kundschaft zu gehören. Und so überschritt sie, ohne sich dessen bewußt zu sein, die unsichtbare Grenze zum Reich der Schatten.
    Nach kurzer Wartezeit in einem Vorzimmer, wo Mutter in der Hitze saß und sich fächelte, während das Gelb aus ihren feuchten Haaren an ihrem Hals hinunterrann, wurden wir von einem gutgekleideten Stubenmädchen in das Empfangszimmer der Wahrsagerin geführt. Wände und Decke waren schwarz gestrichen; flackernde Kerzen vor einer Gruppe von Gipsheiligen in einer Ecke gaben ein trübes Licht. Die Blendläden waren geschlossen, um die Hitze abzuhalten, aber die schwarzen Vorhänge waren zurückgezogen. In einer anderen Ecke stand eine Statue der Madonna im blauen Gewand. Vor ihr brannte eine dicke Kerze, und von einer Vase mit Blumen ging ein süßlicher Geruch aus. In einer offenen Vitrine neben einem Schrank stand eine Reihe verschiedener Porzellanengel. Das trübe Licht ließ ihre Gesichter bedrohlich aussehen. Ein dicker Teppich bedeckte den Fußboden. In der Mitte des Raumes stand ein kleiner, erlesen geschnitzter Tisch mit einem Lehnstuhl für die Wahrsagerin auf der einen Seite und einem gepolsterten Schemel für die Klientin auf der anderen. Wir setzten uns erwartungsvoll auf Stühle, die unter den Porzellanengeln angeordnet waren.
    »Sie wird eine Vettel sein«, flüsterte Marie-Angélique mir zu. Ihre blauen Augen waren geweitet, ihr hochaufgetürmtes goldenes Haar bildete einen schimmernden Heiligenschein über ihrem schönen Antlitz. »Ganz bestimmt. Und ach, was soll ich Père Laporte sagen? Er heißt Wahrsagerei nicht gut.« Und ich heiße nicht gut, einen Beichtvater zu haben statt eines Gewissens. Ich war sehr stolz auf mein Gewissen, das durch die Entdeckung der Gesetze der Tugend anhand des Vernunftgebrauchs geprägt worden war.
    Doch die Frau, die das Stubenmädchen durch die Innentüre führte, war ganz und gar nicht, was Marie-Angélique erwartet hatte. Sie sah wie eine Dame aus, in smaragdgrüner Seide über einem schwarzen, bestickten Unterkleid. Ihr schwarzes Haar war nach der neuesten höfischen Mode zu Locken frisiert und mit Brillanten geschmückt. Ihr Gesicht war blaß und edel, mit breiter Stirn, langer, klassischer Nase und einem schmalen, zierlichen Kinn. Sie hatte ein seltsames, schmallippiges Lächeln, spitz zulaufend wie ein V. Ich spürte, daß ihre Erscheinung Mutter und Marie-Angélique zusagte. Sie verdient viel Geld in diesem Gewerbe, dachte ich.
    Ich betrachtete sie sehr genau, als sie Platz nahm, denn einer meiner Tutoren hatte mir erklärt, daß man als gebildeter Mensch den Charakter von Personen aus ihren Gesichtszügen und ihrer Haltung herauslesen könne. Die Hellseherin war wohl an die dreißig Jahre alt, ihre Miene war selbstsicher, und ihre ernsten, schwarzen Augen schienen allwissend. Ihre gesamte Erscheinung hatte eine kraftvolle Aura, und als sie sich auf ihren mit Brokat gepolsterten Lehnstuhl setzte, war ihre Haltung majestätisch, als sei sie die Königin dieser geheimen Welt, die ab und an Bittsteller von einem geringeren Ort einließ. Wir wollen sehen, was sie zu sagen hat, dachte ich. Wir werden sehen, wie klug sie ist.
    »Guten Tag, Madame Pasquier. Ihr seid gekommen, um zu erfahren, welches Eheglück Euren Töchtern beschieden sein wird.« Mutter schien beeindruckt. Ihr Fächer hielt in der Bewegung inne. Ein logischer Schluß, wenn eine Frau mit zwei Töchtern im Schlepptau daherkommt, dachte ich. Die Frau ist gerissen. Nach Austausch einer Reihe von Schmeicheleien und Artigkeiten wurde Marie-Angélique vorgeschoben, um am Tisch unmittelbar gegenüber der Wahrsagerin Platz zu nehmen. Die berühmteste Hellseherin von Paris nahm ihre Hand.
    »Eure Familie hat Unbilden erlitten«, sagte sie, während ihre Finger über den Handteller meiner Schwester fuhren. »Ihr seid nach Hause geholt worden, aus – ah, ja –, aus einer Klosterschule, aus Geldmangel. Die Mitgift ist – ah – geschwunden. Aber Ihr werdet den größten Traum Eurer Mutter erfüllen. Ein Liebhaber von höchstem Stand – ein Vermögen. Aber hütet Euch vor dem Mann im himmelblauen Rock. Vor dem, der eine blonde Perücke trägt.« Bravo, gut gemacht. Die

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