Die Hexe von Paris
Hälfte der elegantesten Herren von Paris dürfte einen himmelblauen Rock und eine blonde Perücke haben.
Mutter lächelte triumphierend, doch Marie-Angélique brach in Tränen aus. »Seht Ihr keine Heirat für mich, keine Kinder? Ihr müßt besser hinsehen, oh, seht noch einmal hin!« Schlau, dachte ich. Zuerst diejenige zufriedenstellen, die bezahlt. Aber wie will sie dieses Problem umgehen?
»Ich sehe nicht immer das vollständige Bild«, sagte die Wahrsagerin mit einschmeichelnder Stimme. »Ein Kind? Ja. Ich denke schon. Und nach dem Mann im himmelblauen Rock könnte es eine Hochzeit geben. Aber ich kann nicht über ihn hinaussehen. Vielleicht solltet Ihr mich in ein paar Monaten noch einmal konsultieren, wenn die fernere Zukunft deutlicher wird.« Sehr gerissen. Marie-Angélique würde vor Weihnachten heimlich wieder kommen, mit jedem Sou, den sie erbetteln oder borgen konnte, ungeachtet aller Ermahnungen von Père Laporte.
Mutter war jetzt so ungeduldig, ihr eigenes Schicksal zu erfahren, daß sie Marie-Angélique beinahe von ihrem Sitz stieß. In vertraulichem Ton flüsterte die Hellseherin, was eigentlich nicht für meine Ohren bestimmt war. »Euer Gemahl versteht Euch nicht. Ihr ergreift tausend Sparmaßnahmen für sein Glück, und er erkennt nicht eine an. Er ist ohne Ehrgeiz und weigert sich, bei Hofe um die Gunst zu ersuchen, welche Euer Glück erneuern könnte. Fürchtet Euch nicht. Euch lachen neue Freuden.« Ein freudiger Ausdruck huschte über Mutters Gesicht. »Wenn Ihr dieses Glück beschleunigen wollt«, die Wahrsagerin dämpfte die Stimme, »jugendlicher –«, verstand ich und sah sie eine kleine Phiole aus der Tischschublade nehmen. Mutter verbarg sie in ihrem Korsett. Ausgezeichnet, dachte ich. Wann hatte Mutter je ein Mittel zurückgewiesen, das die Wiedererlangung ihrer schwindenden Jugend verhieß? Wenn all diese Salben tatsächlich wirkten, müßte, gemessen an der Anzahl Leute, die sie verkauften, ganz Paris Gesichter haben, so glatt wie Kinderpopos. »Wenn er hart und gleichgültig bleibt – bringt mir sein Hemd – eine Messe für Sankt Rabboni –« Faszinierend. Ein einziger Besuch vervielfacht sich zu mehreren, mit der entsprechenden Vergütung.
»Und nun zu meinem Kreuz, das ich täglich zu tragen habe«, sagte Mutter. Damit stand sie auf und schob mich nach vorn. »Sagt uns, was aus einem Mädchen wird, dessen Herz so entstellt ist wie sein Körper. Versichert mir, daß sie in der Salpêtrière enden wird.« Mutter stieß ein leises Lachen aus, um zu zeigen, daß dies ein Scherz von ihr sei. Es war aber kein Scherz. Sie sagte mir ständig, daß ich dort enden würde. Zuweilen hatte ich sogar Alpträume, denn sie hatte mich zur Warnung einmal mitgenommen, damit ich eine Fuhre mit eingekerkerten kahlgeschorenen Prostituierten sähe. Es war ein abstoßendes Gebäude, ein »Spital«, wo Bettler, Diebe und weibliche Irre eingesperrt wurden, um die Straßen sauberzuhalten. Und nach Aussage eines meiner klatschsüchtigen Tutoren statteten sonntags Geistliche mit glitzernden Augen den Insassen Besuche ab, um sie zur Rückkehr in ein tugendhaftes Leben zu ermahnen. Nicht gerade das, was mir für meine Tochter vorschweben würde, wenn ich eine hätte.
Die Hellseherin betrachtete zuerst Mutter, dann mich mit abschätzendem Blick. »Was Ihr wirklich wissen wollt«, äußerte sie kühl, »ist, ob das Kind Geld erben wird – im Ausland verstecktes Geld.« Das hatte ich nicht erwartet. Ich sah der Wahrsagerin ins Gesicht. Sie musterte mich eindringlich, als ob sie Maß nähme. Dann inspizierten ihre dunklen Augen meinen schwitzenden Handteller.
»Das ist ungewöhnlich«, sagte sie, und Mutter und Marie-Angélique rückten näher, um es zu sehen. »Seht Ihr die Linie, die hier aus Sternen gebildet ist? Einer bedeutet Vermögen. Drei – das ist ganz außergewöhnlich. Es ist ein sehr machtvolles Zeichen.« Selbst die Wahrsagerin schien beeindruckt. Es war sehr erfreulich.
»Ein Vermögen, ein ungeheures Vermögen«, zischte Mutter. »Ich habe es gewußt. Aber ich muß es genau wissen. Erbt sie es? Aus dem Ausland?«
»Sternengebilde auf dem Handteller lassen nie die Art des Vermögens erkennen, nur daß es große Veränderungen mit sich bringt und daß am Ende alles gut wird. Ihr benötigt eine genauere Weissagung, um Eure Frage zu beantworten – eine Weissagung durch Wasser. Für die Bereitung des Wassers wird eine Extragebühr erhoben.« Mutters Mund schloß sich fest wie ein
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