Die Hexe von Paris
Portemonnaie. »Nun gut«, sagte sie mit gereizter Miene. Die Wahrsagerin klingelte mit einem Glöckchen, und als das Stubenmädchen erschien, beriet sie sich mit ihr. »Die Gabe der Wasserweissagung ist sehr selten und gewöhnlich nur bei jungfräulichen Mädchen zu finden – und daher währt sie in dieser verruchten Welt nicht lange, nicht wahr?« Ihr sarkastisches Lachen wurde von Mutters silbrigem »Salon«Lachen ergänzt. Ich wünschte, wir könnten jetzt gehen. Ich hatte genug.
Das Stubenmädchen kehrte mit einem gläsernen Rührstab und einer mit Wasser gefüllten runden Kristallvase auf einem Tablett zurück. Sie wurde von einem adrett gekleideten Mädchen in meinem Alter begleitet, mit streng zurückgekämmten braunen Haaren und mürrischer Miene. Die Tochter des Hauses.
Die Wahrsagerin rührte das Wasser mit dem Stab, wobei sie etwas sang, das wie »Mana, hoca, nama, nama« klang. Dann sagte sie zu mir: »Leg deine Hände um das Glas – nein, nicht so. Ja, gut. Jetzt nimm sie fort.« Das kleine Mädchen spähte in die von meinen Handabdrücken verschmierte Vase, und das Wasser wurde wieder ruhig.
Sie hatten etwas sehr Interessantes mit dem Wasser angestellt. Ein winziges Bild schien sich aus der Tiefe zu lösen, deutlich und hell wie das Spiegelbild eines unsichtbaren Gegenstandes. Es war ein Gesicht. Das liebreizende Gesicht eines Mädchens von etwa zwanzig Jahren. Graue Augen starrten mich an, schwarze Haare umwehten ein blasses Antlitz, der Wind peitschte einen dicken, grauen Umhang, den das Mädchen eng um sich raffte. Es lehnte an der Reling eines Schiffes, das auf einem unsichtbaren Meer schaukelte.
Die Wahrsagerin sprach zu ihrer Tochter: »Nun, Marie-Marguerite, was siehst du?«
»Das Meer, Mutter.«
»Wie habt Ihr das gemacht, daß das kleine Gesicht erschien?« fragte ich, ohne zu überlegen. Die unergründlichen Augen der Wahrsagerin betrachteten mich eine Ewigkeit, wie mich dünkte.
»Das Vermögen kommt aus dem Ausland«, wandte sich die Wahrsagerin an Mutter. »Aber erst in vielen Jahren.«
»Aber was bedeutet das Gesicht?« unterbrach Marie-Angélique.
»Nichts. Sie hat nur ihr Spiegelbild gesehen, weiter nichts«, sagte die Wahrsagerin unwirsch.
»In vielen Jahren?« erklang Mutters silbriges Lachen. »Ich werde es gewiß viel früher aus ihr herauspressen. Liebes kleines Tröpfchen«, setzte sie bedachtsam hinzu und versetzte mir mit ihrem Fächer einen spielerischen Klaps, damit jeder wisse, daß alles nur Scherz war.
Spät am Abend schrieb ich in mein Büchlein:
12. August 1674. Catherine Montvoisin, Rue Beauregard, Wahrsagerin, Versuch Numero 1.
Marie-Angélique – ein reicher Liebhaber. Achtung vor Mann in himmelblauem Rock und blonder Perücke, vielleicht ein Kind.
Mutter – Jugendsalbe. Linien über die nächsten drei Wochen beobachten. Bald große Freude.
Ich – Geld im Ausland.
Ein Gedanke: Schöne Frauen fürchten das Alter mehr als häßliche. Wenn ich alt bin, kaufe ich Bücher, keine Faltensalbe.
Nachdem ich am Abend mit Vater über Seneca diskutiert hatte, fragte ich ihn, was er von Wahrsagerinnen halte.
»Meine liebe Kleine, sie sind die Zuflucht der Leichtgläubigen und Abergläubischen. Ich würde gerne sagen, der Frauen, aber es laufen auch viele Männer zu ihnen. Sie alle sind Dummköpfe.«
»Das meine ich auch, Vater.« Er nickte erfreut. »Aber sagt mir, ist es möglich, Bilder im Wasser zu sehen, wie es beschrieben wird?«
»O nein. Es sind nur Spiegelbilder. Manchmal können sie es mit Hilfe von Spiegeln so aussehen lassen, als würden sie aus dem Wasser oder einer Kristallkugel oder was auch immer hervorscheinen. Wahrsagerei ist fast nur Geschicklichkeit mit den Händen, wie bei den Zauberern auf dem Pont-Neuf.«
»Ja, das leuchtet ein. Es überrascht mich, daß die Menschen so leichtgläubig sind. Aber wie kommt es, daß sie die Geheimnisse und die Handschrift der Leute zu kennen scheinen?«
»Es klingt, als hättest du gut nachgedacht. Es freut mich, daß du das Licht der Vernunft auf das Dunkel von Schurkerei und Aberglauben richtest. Doch als Antwort sollst du wissen, daß Wahrsagerinnen eine verschlagene Brut sind. Sie unterhalten ein Netz von Zuträgern, so daß sie über das Kommen und Gehen ihrer Kundschaft unterrichtet sind. Damit setzen sie die Einfältigen in Erstaunen.«
»Das erklärt alles, Vater. Aber ich habe noch eine Frage, die ich mit Hilfe der Römer zu lösen versucht habe. Ist es besser, klug zu sein oder schön?«
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