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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Ihr wüßtet, was dieses Labsal enthält, würdet Ihr Euch vielleicht anders besinnen, dachte ich und nahm einen großen Schluck.
    Als das vertraute, köstliche Gefühl langsam von mir Besitz ergriff, sahen die grotesken, von Schnupftabak fleckigen Nasen in den blasierten Gesichtern allmählich immer liebenswürdiger aus. Der dumpfe Schmerz in meinem Rücken ließ nach, die Schrecknisse des Tages wurden gedämpft und rückten in die Ferne. Die Muster des bestickten Mieders der Comtesse schienen mit kleinen kreischenden Lauten hervorzuhüpfen, wenn ihre Brust gegen das Korsett darunter stieß. Opium. Liebliches Opiumlabsal, mein bester Freund. Anfangs hatte ich es auf die Schlafenszeit beschränkt. Dann wurde es meine Belohnung, wenn die Besuchszeit vorüber war. Ich wollte auf keinen Fall, daß etwas meine Bilder befleckte, die Quelle meines Vermögens. Dann aber probierte ich es am Morgen, und es schien nichts zu ändern; allenfalls war es ein wenig leichter, ein Bild ins Glas zu rufen. Und das war von Vorteil, nicht wahr? Jetzt trug ich es überall bei mir. Das Leben erforderte es.
    »Ihr wirkt verträumt, Madame de Morville.«
    »Ich denke an meine Jugendzeit. Als schmächtiges Mädchen war ich bei dem berühmten Turnier zugegen, als König Henri II. starb. Ah, so ein stattlicher, galanter König – wenngleich er freilich von unserem gegenwärtigen Monarchen übertroffen wird –« Das Gespräch wandte sich nunmehr der Frage zu, wie die Ritterlichkeit der Großen in der Geschichte zu bewerten sei. Die Geräusche waren wie Kammermusik. Über dem gleichmäßigen Tacka-tacka-Rhythmus der Hufe und dem Klirren des Pferdegeschirrs spielte das Cello des Comte de Longueval die Baßstimme, während die Violine der Comtesse die Melodie sang. In Intervallen erklang dazu das einfältige Tröpfeln der Flöte von Madame de Corbon oder das nasale Piepsen der Oboe des Abbés Barby. Ritterlichkeit – Könige und Fürsten – Ritterlichkeit – steht einem Manne wohl an, nicht wahr, mein lieber Comte? – Tackatackatacka und das Knallen einer Peitsche. Ich bedauerte es beinahe, als die Kutsche im cour d'honneur des Palais Soissons zum Stehen kam.

    »Ihr spielt nicht, Madame?« Comtesse de Soissons hob eine Augenbraue, als ich ihr meinen Gruß entbot. Sie war in hellblauen Satin gekleidet, des Décolleté mit einer vierfachen Schnur aus dicken Perlen geschmückt, die in Abständen von Diamanten unterbrochen waren. Sie saß am Kopf des größten der mit Elfenbein eingelegten Spieltische im güldenen Salon, und mehr als ein Dutzend Hündchen zappelte zu ihren Füßen. Um das Rechnen zu vereinfachen, benutzten die Spielenden Gold an Stelle von Jetons, und Zehntausende Écus waren auf den Tischen aufgehäuft. Wenn die Häufchen die Besitzer wechselten, weinten oder jubelten die Spieler, ohne sich um Gleichmut zu bemühen. Nur der Marquis de Dangeau saß still, während er die Spielenden mit luchsartigen Augen beobachtete und mit geübter Hand die Karten mischte. Er bestritt seinen Unterhalt an den Spieltischen, was man jedoch nicht laut sagen durfte; er spielte mit Strategie und bedurfte keiner Tricks, keiner Karten im Ärmel, keiner gekennzeichneten Spiele. Hie und da standen Männer von niederem Rang, Bankiers und Financiers, ihren Gönnern zur Seite, bereit, deren Einsätze zu gewährleisten. Jeder gut gekleidete Mann mit manierlichen Umgangsformen war an den Spieltischen gerne gesehen, sofern er die ungeheuren Beträge mit der lässigen Unbekümmertheit eines geborenen Aristokraten zu setzen verstand.
    »O nein, Madame, es bereitet mir Vergnügen, das Spiel der Gefühlsregungen im Raum zu beobachten und die prächtige Kleidung zu bewundern, die heutzutage getragen wird.« An einem Tisch schrie ein Spieler auf, raufte sich die Haare und stürzte aus dem Salon. »Zu meiner Zeit«, bemerkte ich, »war man nicht so kultiviert wie heute; damals hätte ein Mann den Sieger zum Duell gefordert.«
    »Wie überaus klug von unserem König, Duellieren in diesem Fall zu untersagen«, erwiderte die Comtesse, »denn auf diese Weise ist der Fortbestand der Spielenden gesichert.«
    »Klug, fürwahr«, erwiderte ich in verbindlichem Ton.
    »Die Marquise ist so diskret«, warf Comtesse de Longueval ein, begierig, ihren Teil zur Konversation beizutragen. »Sie, die die Zukunft lesen kann, nimmt klugerweise davon Abstand, an unseren Spielen teilzunehmen, nicht wahr?«
    »Es gehört zu meiner Vorstellung von Ehre«, sagte ich ernst und dachte daran,

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