Die Hexe von Paris
ein Bote, den der Himmel geschickt hat. Mein größter Wunsch –«
Ein Bote von den Pforten der Hölle, meint Ihr. Der König von Frankreich ist ein armer Narr in den Fängen der Geschöpfe der Nacht und des Aberglaubens, die mittels einer schwarzen Messe eine Frau an die Höhen der Macht plaziert und sie überredet haben, ihn regelmäßig mit Aphrodisiaka zu betäuben. Nur ein Wort von ihnen, und die Aphrodisiaka können durch ein fataleres Mittel ersetzt werden. Die höchste Stufe der Macht, hatte La Voisin gesagt. Wir herrschen durch ihre Schwäche. Die Hexenmeisterin von der Rue Beauregard hielt das gesamte Königreich Frankreich in ihren Händen.
KAPITEL 15
E s war ein strahlender Sommernachmittag; wir schrieben den 16. Juli 1676. Ich war in ein Fenster gequetscht, das eine meiner Gönnerinnen zu einem hohen Preis gemietet hatte und das auf die Place de Grève hinaussah. Es war die Hinrichtung der Saison, und infolgedessen wurde für Fenster und Balkone, die auf das Schafott hinaussahen oder auch nur am Wege des Schinderkarrens lagen, eine viel höhere Gebühr als üblich erhoben. Der Platz selbst und die zu ihm führenden Straßen waren mit Menschen erfüllt. Adelige, die zu spät gekommen waren, um einen Fensterplatz zu mieten, waren gezwungen, von ihren Kaleschen aus zuzusehen, obgleich die Sicht nicht halb so gut war.
Seit meiner sensationellen Voraussage von Madame Montespans Wiedererlangung der Gunst war ich in den elegantesten Salons der Stadt begehrt. Madame de Villedieu und Madame de Poulaillon hatten kurz über das ausschließliche Besitzrecht an mir gestritten, bis sie zu einem Waffenstillstand gelangten. Madame de Bouillon, die allmächtige Verfechterin der Kultur, hatte öffentlich verkündet, daß ich »Witz« besäße, was zur Folge hatte, daß ich in der ganzen Stadt eingeladen wurde, um triste Soireen zu beleben. Ich aß oder schlief kaum noch zu Hause; Kaleschen standen zu meiner Verfügung, und ich war in allen großen Häusern ein gewohnter Anblick. In der Verkleidung der Marquise der Morville machte ich so viele bissige Bemerkungen über die Gesellschaft, wie mir beliebte. Nie hatte sich Geneviève Pasquier besser amüsiert. Es war schwer zu sagen, was besser war: Unverschämtheiten auszusprechen oder sich an dem Aufruhr zu weiden, den sie verursachten. Man nahm mich mit in die Oper, zum Ballett, ins Theater, um mich nach meiner Meinung zu fragen, damit meine Gastgeber sich meine Bonmots zu eigen machen und als die ihren weitergeben konnten. Denn dies war die Zeit, da man mit Geist und Witz wetteiferte, und jene, die nicht von Natur damit begabt waren, mußten sich aller möglichen Tricks bedienen. Heute war ich, eingeladen von der faden Comtesse de Longueval, gezwungen, der Enthauptung und Verbrennung der Marquise de Brinvilliers beizuwohnen.
»Und alles, weil sie diesen langweiligen kleinen Gemahl vergiftet hat«, ließ sich meine Gastgeberin, die von untadeliger Abstammung und zweifelhafter Vermögenslage war, seufzend vernehmen. »Wirklich, dieser La Reynie geht entschieden zu scharf vor – oh, seht, da ist Princesse de Carignan in ihrer Kalesche!«, und sie winkte ihr mit dem Schnupftuch. Eine befriedigende Anzahl bedeutender Höflinge hatte sich eingefunden, um ihr tägliches Einerlei aus Karten-, Schau- und Wasserspielen mit einer willkommenen Hinrichtung zu unterbrechen. Zudem bildete das Beobachten von Berühmtheiten ein vorzügliches Vorspiel für die nachmittägliche Kurzweil.
»Wißt Ihr, was Madame de Sevigné gesagt hat? ›Ich vermute, wir werden sie bald von oben herab besehen.‹ Ah, die Marquise hat einen so beneidenswerten Witz«, bemerkte ihre Gesellschafterin, Madame de Corbon.
»Witz ist die Würze geistreicher Konversation«, bekundete meine Gastgeberin mit der hohen, gelehrten Stimme, die erkennen ließ, daß sie ein Bonmot von sich gab, das sie tags zuvor in der Stille ihres Kabinetts mühsam kreiert hatte. »Meint Ihr nicht auch, Madame de Morville?« Sie bewegte erwartungsvoll ihren Fächer.
»Aber ja«, erwiderte ich mit salbungsvoller Stimme. »Pfeffer bewahrt uns vor Würsten und Gästen, deren Zeit abgelaufen ist.« Sie kicherte nervös und begann zu rezitieren: »Gäste – Würze – geistreiche Gäste – eine schal gewordene Konversation –« Ich beobachtete amüsiert, wie die Räder ihres Verstandes sich nutzlos drehten. Witz! Gegenwärtig nach Geld das Wichtigste in der Gesellschaft. Die Salons hatten den Ton angegeben, und Madame de Montespans
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