Die Hexe von Paris
halb ärgerlichen Aufschrei.
»Meine lieben Freunde, keine Streitigkeiten. Ich schmachte nach einem kleinen Abendimbiß. Und es gibt jetzt wirklich nichts Interessantes mehr zu sehen.« Es lag nicht in der Natur der Comtesse, sich lange mit einer Sache zu befassen. Das letzte, was ich vom Fenster aus bemerkte, war Desgrez; noch zu Pferde, erteilte er der Wache, die den Scheiterhaufen umgab, Befehle. Er würde die ganze Nacht dort bleiben und die Menge daran hindern, Teile der Leiche zu stehlen, um sie zu verkaufen. Das Gesetz des Königs verlangte, daß die gesamte Asche in die Seine geschüttet wurde, und Desgrez war nicht nur ein beharrlicher, sondern auch ein gewissenhafter Mann.
Die sich zerstreuende Menge hinderte uns, zu unserer Kutsche zu gelangen, die in einer nahen Straße wartete. Durch das Gedränge schob sich ein wagemutiger Setzerbube. Er verkaufte Flugschriften, welche die Ereignisses des Tages und die zahllosen Verbrechen der Frau, die auf der Place de Grève verbrannte, in Versen schilderten. Unversehens fiel mir Großmutter ein. Zu ihrem Gedenken wollte ich eins erwerben.
»He du, Junge, was hast du da?« Ich schwenkte meinen Spazierstock in der Luft, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
»›Die bemerkenswerten Verbrechen und die Hinrichtung von Madame de Brinvilliers‹, bebildert, nur zwei Sous, Großmutter. Garantiert unterhaltsam«, schrie der Straßenbengel.
»Oh, ich muß eins haben«, rief eine Dame in der Nähe.
»Junge, komm sofort hierher«, rief ein Herr. Die Menge drängte sich um ihn und riß ihm die Flugblätter aus der Hand. Als er sich mir zuwandte, war der Vorrat in seinem Beutel erschöpft.
»Nicht enttäuscht sein, Großmutter, ich habe eine ganze Kiste voll im Torweg da drüben – ich hole Euch gleich eins.« Und als er ging, sah ich im Bogen eines nahen Torweges eine große Kiste mit Flugschriften, billigen Pamphleten und gebrauchten Büchern, bewacht von einem Mann, der von oben bis unten in einen schwarzen Umhang gehüllt war. Einen schwarzen Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen, um es zu verdecken.
»Oh, du hast auch Bücher?«
»Nur ein paar, Großmutter. Seht selbst.« Ich spähte in die Kiste. Mehrere schmale Bändchen, »Parnasse Satyrique« betitelt, das Stück zu zehn Sous. Ich schlug meinen Schleier zurück, um besser zu sehen. Phantastisch. Eine witzig gereimte libelle über die Amouren bei Hofe, aufs wunderbarste detailliert. Ich spürte, wie ich errötete. Der Mann im Umhang war in den Schatten zurückgewichen, und ich fühlte seinen bohrenden Blick in meinem Nacken. Ich zog meinen Schleier herunter, um meine Verwirrung zu verbergen, und nahm mir ein zweites Buch, um das maliziöse Bändchen zu verstecken, das ich begehrte.
»Diese beiden und das Flugblatt«, sagte ich hastig, warf dem Buben einen Goldlouis zu und floh, um mich wieder der Gesellschaft anzuschließen.
»Oh, wie entsetzlich! Die Druckerschwärze verschmiert meine Hände!« rief Madame de Corbon aus, als sie sich auf dem Kutschensitz niederließ. »Hier, faltet das Flugblatt für mich, mein Freund, und steckt es in Eure Tasche.« Während ihr Begleiter ihrem Wunsche nachkam, faltete ich mein Exemplar zusammen und stopfte es zu meinen Büchern in den kleinen Beutel, den ich bei mir trug. Vergnüglicher Lesestoff für einen Abend.
»Ei, welch kluge Voraussicht, Madame de Morville! Ihr habt eine veritable Apotheke in Eurem Beutel! Welchem geheimnisvollen Zweck dienen all die Fläschchen?« Madame de Corbon war ein rechter Plagegeist. Doch wenn man soeben der Hinrichtung einer Giftmischerin beigewohnt hat, tut man gut daran, nicht unnötig Verdacht zu erregen.
»Wir alten Leute müssen zu kunstvolleren Mitteln Zuflucht nehmen als die jungen, wenn wir in der Gesellschaft mithalten wollen«, sagte ich und tat mein Bestes, um eulenhaft auszusehen. »Neben einem Schnupftuch und einem Riechfläschchen habe ich hier ein Stärkungsmittel und ein Tiegelchen Rouge, um die Blässe zu beheben, das Resultat eines tragischen Lebens, das sich über die willkommene Behaglichkeit des Grabes hinaus erstreckt.« Indes Madame de Corbon den Rougetiegel in Augenschein nahm, bot ich der Gesellschaft das Opiumlabsal an, das alle ablehnten.
»Jedem das Seine, hm, Madame de Morville?« sagte Comte de Longueval und reichte seine goldene emaillierte Tabatière herum. »Ich persönlich ziehe dem Stärkungsmittel einer alten Dame etwas Belebenderes vor.« Die Comtesse schnupfte Tabak, ebenso Madame de Corbon. Wenn
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