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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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niemals geschehen.« Er warf mir einen amüsierten Blick zu und entbot mir, seinen Federhut lüftend, ein formvollendetes Lebewohl.
    »Und auch Ihr, Monsieur, lebt wohl. Und – seht Euch heute nacht vor.«
    »Keine Sorge, alte Dame. Ich bin länger in diesem Metier als Ihr.« Und er verschwand in der dunklen Straße, wo seine Kutsche wartete.
    In dieser Nacht saß ich bei d'Urbec und fragte mich wieder und wieder, wie ich das Versprechen, das ich ihm gegeben hatte, einlösen könnte, ohne den Zorn der Schattenkönigin heraufzubeschwören. Mein Kopf mußte klar, mein Verstand so scharf wie möglich sein, um sie zu überlisten. Wenn ich das Opium nach und nach verminderte, könnte ich mich vielleicht davon befreien. Aber dann würde es zu spät sein. Geneviève, du bist töricht, schalt ich mich. Und während mir die Tränen übers Gesicht rannen, nahm ich noch eine Dosis von dem Labsal.
    »Es hat sie schlimm erwischt, nicht wahr«, hörte ich Sylvie flüstern, als mir vor Erschöpfung die Augen zufielen.
    »Es wird ihr guttun«, erwiderte Gilles mit so leiser Stimme, daß ich es kaum hören konnte. »Ich dachte immer, sie ist aus Eis. Ein menschliches Herz würde die kleine Denkmaschine verbessern. Dann würde ich mich in ihren Diensten verflucht viel sicherer fühlen.«

    D'Urbec schlief zwei Tage lang, und ich dachte, er würde sterben. Der Wundarzt kehrte nicht wieder, aber das überraschte mich kaum. Ich besuchte weiterhin meine Klientel und wohnte Empfängen bei, als sei nichts geschehen. Am Morgen des dritten Tages schlug d'Urbec die Augen auf und sagte mit leiser Stimme: »Ruft Lamotte.« Ich schickte Mustafa in voller türkischer Livree zum Palais de Bouillon. Am Nachmittag, als ich ohne Korsett in einem losen Gewand aus besticktem indischem Kattun lag und ruhte, kam Sylvie zu mir heraufgeeilt, um mich zu wecken.
    »Madame, Madame. Der stattlichste Mann der Welt ist hier, er wartet unten auf Euch. Oh, könntet Ihr nur seinen Schnurrbart sehen, seinen samtenen Umhang – wie elegant er ihn über die Schulter wirft. Seine seidenen Strümpfe – oh, allein schon seine Waden lassen mein Herz mächtig klopfen!«
    »Das ist Lamotte, Sylvie. Hilf mir meine Haube aufsetzen.«
    »Ach, Eure Locken, sie wollen hinten nicht anliegen!« rief sie, als sie meine Haare zu einem gediegenen kleinen Knoten steckte. So paßten sie unter die flache Spitzenhaube, die ich im Hause trug. Dann eilte sie aufgeregt die Treppe hinab, um ihn hinaufzuführen.
    Lamotte war gewichtig und wohlhabend geworden. Seine einst tolldreiste Galanterie hatte sich in die glitzernde Eleganz eines Kavaliers verwandelt. Er war, soweit überhaupt möglich, schöner denn je. Der unbewußte Charme, den er einst ausgestrahlt hatte, war nun bewußt und kunstvoll, dennoch verfehlte er seine Wirkung nicht. Er blieb an der Türe stehen, hob die Augenbrauen, als er meiner ansichtig wurde, und ein seltsames Lächeln ging über sein Gesicht.
    »Ihr also seid die berühmte Marquise de Morville. Es hat, auf seine verrückte Art, durchaus Hand und Fuß.« Er verneigte sich tief und schwenkte seinen Federhut. »Seid gegrüßt, Madame de Morville.«
    »Seid gegrüßt, Monsieur Lamotte. Euer Freund d'Urbec liegt in der Bedientenkammer und verlangt nach Euch.«
    »D'Urbec, der Unglückliche. Aber, bei Gott, am Ende doch glücklich. Ich wünschte, ich hätte die Voraussicht und die Courage besessen, mir auf diese Weise Einlaß bei dem Engel vom Fenster zu verschaffen.«
    »Er liegt im Sterben, Monsieur.«
    »Mein Gott, das habe ich nicht gewußt – Eure Botschaft ließ davon nichts verlauten«, und aufrichtige Besorgnis huschte über seine Züge, indes er ans Lager seines alten Freundes eilte. Er wirkte erschüttert, als er die schreckliche Veränderung in d'Urbecs Antlitz gewahrte, die summenden Fliegen, die offene, von Maden wimmelnde Wunde. »Habt Ihr denn nichts für ihn getan?« fragte er erzürnt. »Wo sind die Bandagen?«
    »Anweisung des Wundarztes. Wir dürfen die Maden nicht stören.«
    »Ihr habt diesen Idioten Chauvet gerufen. Wo um alles in der Welt habt Ihr ihn gefunden? Alle sagten, er sei tot. Seht Ihr nicht, daß der Mann zur Ader gelassen werden muß? Die Wunde ist vergiftet. Um Gottes willen, holt ihm einen ordentlichen Heilkundigen, ehe es zu spät ist.«
    »Das kann ich nicht, Lamotte. Und Euch darf ich auch nicht sehen, Lamotte. Ihr müßt Geheimhaltung schwören, oder ich werde zweifach sterben. Ihr habt nur die Marquise de Morville

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