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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Leintücher sind nicht gefaltet, und er verlangt unentwegt nach Wasser, seit er so fiebert. Was fangen wir an, wenn er hier stirbt? Wir können es nicht einmal wagen, den Leichnam fortzuschaffen.«
    »Madame schickt uns einen verläßlichen Wundarzt«, sagte ich mit einem matten Seufzer. »Er kommt heute abend, wenn ich vom Empfang bei Madame Maréchale zurück bin.« Ich setzte mich still auf den kleinen Stuhl vor meinen Toilettentisch und stärkte mich mit einem Löffel Labsal aus dem grünen Fläschchen in der Schublade. Wie sollte ich es jemals aufgeben, um mich mit La Voisin zu messen und zu siegen? Es aufgeben? flüsterte mein Verstand, als ich mich wieder ganz wohlig fühlte. Es ist wundervoll. Vielleicht solltest du noch etwas warten. Zuerst siegen, und es hernach aufgeben. Ich nahm noch einen Löffelvoll, ohne zu dem verhüllten Spiegel über dem Toilettentisch aufzublicken. Ich war mir meiner Kräfte sicher. Allemal sicher genug für eine Schar Amateurastrologinnen mit einer Vorliebe für Wahrsagerei.

    Der Wundarzt kam, als die Theatervorstellungen beendet waren. Er hatte sich als Stutzer gekleidet, sein Gehilfe trug die Livree eines Leibdieners. Eine vollendete Maskierung. Er sah aus wie ein Klient. Oben legte er seinen Rock und sein Rüschenhemd ab und band sich eine große Schürze um. Er besah sich die abgezehrte, halb bewußtlose Gestalt auf der Matratze und stocherte in der Wunde, bis d'Urbec schrie.
    »Hab' ich's mir doch gedacht«, erklärte er. »Ein Dummkopf hat die Wunde zu stramm verbunden. Sie hat sich auf der Oberfläche geschlossen, bevor sie von innen getrocknet ist.« Er brachte die Kerze näher heran und stocherte erneut. »Sie muß geöffnet werden, damit der Abszeß abfließen kann. Diese Wunden von illegalen Duellen – immer dieselbe Geschichte«, sagte er verächtlich. Dann sah er sich um. »Hat Eure Küche einen Tisch, der groß genug ist, daß ein Mann darauf liegen kann, Madame?«
    »Ich denke ja, Monsieur.«
    »Gut. Wir operieren sofort. Es gibt Wundärzte, die bei solchen Leiden Aderlässe vornehmen, aber ich glaube, das ließe den Abszeß zum Herzen hin abfließen. Und das würde den Kranken in Blitzesschnelle töten. Aderlässe – die Methode dieses gefährlichen Quacksalbers Fagon, Leibarzt des Königs. Ich beging den Fehler, mich dagegen auszusprechen, und muß mich aus diesem Grunde auf illegale Operationen zu später Stunde beschränken. Meine Laufbahn bei der Armee – aus und vorbei. Ich bin für die Profession gestorben, Madame. Man darf die Macht der Professionsbruderschaft nicht unterschätzen, Madame.« Oder der Schwesternschaft, dachte ich. In manchen Dingen sind wir uns gleich.
    Er ging mit einem Schwall von Anweisungen hinunter. »Mehr Kerzen, und sputet Euch. Facht das Feuer an, ich will es heiß haben dort drinnen. Dichtet die Fenster ab, die Nachbarn sind zu nahe. Ans Werk, ich habe der alten Hexe in der Rue Beauregard versprochen, ihn nicht zu töten.«
    »Athena, Athena, hört mir zu.« D'Urbecs Stimme klang dringlich. Ich beugte mich nahe zu ihm hin. »Begrabt mich nicht in Eurem gottverfluchten Hinterhof, hört Ihr? Laßt meine Asche zu den Meinen nach Hause schaffen. Sie haben immer gesagt, mir gebreche es an Schicklichkeit. Ich möchte etwas Anständiges tun, nur dieses eine Mal.«
    »D'Urbec, ich schwöre es. Bei Eurem Vater, bei meinem.«
    »Und noch etwas, Athena. Jetzt, da ich hier liege, ist mir klargeworden, daß ich Euch Dank schulde. Vater erzählte mir von einer Wahrsagerin mit Namen Marquise de Morville, die ihm geraten hat, wie er seine Bittschrift an den König bringen konnte. Sie habe nicht einmal Bestechungsgeld verlangt. Da hätte ich es ahnen müssen. Aber erst als ich Euch ohne den lächerlichen schwarzen Schleier sah, erkannte ich, welch kleines Biest den Brief geschrieben hatte, worin sie einen Kerl anschwärzte, der sie ihrer Löffel und ihrer Jungfräulichkeit beraubt hatte.«
    »Es war nichts, d'Urbec.«
    »Nennt mich Florent, bitte. Das ist nur billig und recht. Ruder Numero sieben auf der Superbe. Wenigstens sterbe ich nicht dort. Auch wenn Onkel mich enterbt hat. Die Bastille, die ist respektabel, sagte er. In der Bastille kann man Leuten aus den allerbesten Familien begegnen. Aber die Galeeren. Keine Klasse, Geneviève.« Seine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. »Er sagte, eher würde er mich eigenhändig erhängen. Gott, ich konnte nicht einmal auf rechte Art verhaftet werden.« Er hielt inne. Der Schweiß rann ihm

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