Die Hexe von Paris
über das grünlich-graue Gesicht. »Versprecht mir. Kein Hinterhof. Kein Keller. Kein Fluß. Lamotte verwahrt etwas Geld für mich. Gebt es meinen Eltern für einen Gedenkgottesdienst. Sie haben keinen Sou. Ruft ihn, wenn ich nicht überlebe. Er ist jüngst im Palais de Bouillon eingezogen. Schwört es.«
»Ich schwöre es, Florent.«
»Schwur eines Römers?«
»Schwur eines Römers.«
Als der Gehilfe des Wundarztes und Gilles ihn in die Küche getragen hatten, setzte ich mich nieder und weinte. Ich würde Lamotte nur sehen, wenn ich d'Urbec verlor.
»Wo ist das alte Weib?« hörte ich den Wundarzt von unten rufen. »Ich habe gesagt, ich brauche beide Frauen, um die Kerzen zu halten. Die Männer müssen ihn niederhalten.« Ich wischte mir das Gesicht ab und trat in die Küche. »Wo seid Ihr gewesen? Heulend und jammernd herumgeschlichen? Ihr gehört gewiß nicht zu ihnen. Ich habe gesehen, wie sie einem Mann den Kopf abnahmen und dabei immerfort lächelten. Nehmt das«, sagte er, indem er mir den silbernen Kandelaber vom Eßtisch in die Hand drückte. Im Lichte von einem Dutzend Flammen sah er mir ins Gesicht. »Euer Puder zerläuft. Und das schwarze Zeug um Eure Augen auch.« Er wischte mir mit einem Finger übers Gesicht und begutachtete, was darunter zum Vorschein kam. Dann beugte er sich dicht an mein Ohr, damit niemand sonst ihn hören konnte.
»Einhundertfünfzig Jahre alt, wie? Es würde mich wundern, wenn Ihr ein Jahr älter wärt als sechzehn. Bleibt dabei, kleines Schreckgespenst, Ihr habt meine Bewunderung. Wenn ein Mädchen sonst ein Vermögen verdienen will, so muß es sich auf den Rücken legen. Denkt an mich, wenn Ihr Königin seid. Ich bin kundig, ich bin verschwiegen, und jedermann benötigt gelegentlich einen Wundarzt.« Ich wurde starr vor Entrüstung. Er lachte. »Marquise, Ihr haltet mich auf. Die Zeit ist kostbar. Die Stunde vergeht rasch.« Er riß den Verband herunter, und d'Urbec schrie auf. »Seid still, verflucht. Wollt Ihr die Polizei herbeiholen? Reicht mir das Skalpell. Ich bin diese Woche gut in der Übung. Drei Wunden genau wie diese. Es ist in einer Minute geschehen.« Das Skalpell schoß wie eine Schlange in die sickernde Masse. Klebriger Eiter quoll mit Blut hervor. »Gut!« verkündete der Wundarzt, als d'Urbec das Bewußtsein verlor. Das Skalpell schoß noch einmal hinein, und dann wischte Monsieur Chauvet es an seiner Schürze ab. Danach träufelte er eine Flüssigkeit aus einer Flasche in die offene Wunde, und der Geruch von Alkohol füllte den Raum.
»Was ist das?« fragte ich.
»Branntwein. Beste Qualität. Wirkt besser als ein Brenneisen und schneller als heißes Öl. Das habe ich auf dem Schlachtfeld herausgefunden. Alle hatten etwas Alkoholisches bei sich. Nicht viele Leute laufen mit einem handlichen glühendheißen Brenneisen herum. So, ich bin fertig mit ihm. Verbindet die Wunde nicht, laßt sie in diesen Bausch abfließen. Wenn die Maden hineinkommen, laßt sie gewähren. Sie fressen das abgestorbene Fleisch. Meine kleinen Helfer.«
Ich hätte mich am liebsten übergeben. Statt dessen war ich höflich. »Ihr seid wahrlich flink, Monsieur.«
»Selbstverständlich bin ich flink. Wundärzte, die zaudern, lassen den Patienten am Schock sterben. Zeit ist alles.« Er spuckte in die Hände und wischte sie an seiner Schürze ab. »Und nun«, sagte er, indes sein Gehilfe ihm in sein Rüschenhemd half, »ich nehme immer bare Münze. Keine Schuldscheine.« Ich bezahlte.
»Wird er leben?« fragte ich.
»Das vermag ich jetzt noch nicht zu sagen. Aber ich komme morgen wieder, oder übermorgen, je nachdem, wie es meine Zeit erlaubt. Dann werde ich es Euch sagen können. So, Jacques, und nun fort – wir haben viel Arbeit vor uns.«
»Noch in dieser Nacht?« fragte ich, indes ich ihm seinen Spazierstock reichte.
»Ja, der nächste Fall ist leicht – eine reiche Frau gebiert heimlich ein Kind. Muß mich sputen – eine Kutsche holt uns um Mitternacht auf der Place Royale ab. Man wird uns mit verbundenen Augen hinfahren. So wird es bei den Erlauchten gehandhabt. Sie ziehen die Leintüchter ab und bedecken die Wappen auf den Bettvorhängen, auf daß sie nicht erkannt werden können. Tags darauf sieht man sie, ganz bleich, in einer Kutsche auf dem Weg in die Oper – und gibt vor, sie nicht zu kennen. Es ist eine eigenartige Welt, wie Ihr gewiß unterdessen gemerkt habt, hm, alte Dame?«
»Es scheint so, Monsieur; dergleichen wäre in den Tagen des guten Königs Heinrich
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