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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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auf ihre Stirne. Sie war heiß von Fieber. Desgrez' Stimme antwortete leise, aber ich konnte ein paar Worte verstehen.
    » – unzusammenhängend, seit der Priester nach mir schickte – kein Wort seit des Geständnisses der Abtreibung – er konnte ihr den Namen auch nicht entlocken – aber da sie nun identifiziert ist, habe ich meine Mutmaßungen –«
    »Ich bin es, ich bin es«, flüsterte ich Marie-Angélique eindringlich zu. »Ich bin gekommen, dich zu holen. Stirb nicht, bitte. Du mußt wieder gesund werden. Wie kann ich weiterleben, wenn du stirbst?«
    »Du da«, vernahm ich Desgrez' Stimme plötzlich über mir. Ich fuhr zusammen, von nackter Angst ergriffen, und sah auf. Angenommen, er hatte schon eine Weile stumm dagestanden und den Wechsel meines Akzentes gehört? »Vielleicht kann eine Frau es aus ihr herausbekommen.« Seine Stimme war forsch. »Frage sie, wer der Abtreiber war.«
    Ich umarmte den schwitzenden Körper im Bett und flüsterte ihr das ins Ohr, was sie am liebsten auf der Welt zu hören wünschte. »Gott hat dir gewiß vergeben, Marie-Angélique.« Sie schlug die Augen halb auf. »Lebe um meinetwillen, lebe für die, die dich lieben.« Einen Moment schien sie zu sprechen. Ich brachte mein Ohr nahe an sie heran, konnte aber nichts hören.
    »Nun?« Desgrez' Stimme über mir klang barsch.
    »O Monsieur, sie nannte einen Namen, hörte sich an wie ›Longueval‹.«
    »Der Comte de Longueval, wie? Der alte Kuppler. Ich dachte, er würde sich seit seiner letzten Vernehmung auf die Alchimie beschränken. Lebrun, wir müssen dem Comte so bald wie möglich einen Besuch abstatten.« Er verließ die Bettstatt und schritt von dannen, aber ich hörte noch, wie er dem Wachtmeister zuflüsterte: »Folgt der Dienstmagd, wenn sie von hier fortgeht. Ich will wissen, wohin sie geht, mit wem sie sich trifft.« Mein Herz blieb beinahe so still stehen wie das von Marie-Angélique.
    »Du brauchst nicht mehr hier zu sitzen. Sie ist tot.« Die Stimme der alten Wärterin weckte mich. Sie beugte sich über mich und flüsterte vertraulich zwischen faulen Zähnen: »Wenn die Familie Anspruch auf den Leichnam erheben will, um sich die Schande zu ersparen, daß er auf der Straße ausgesetzt wird, kann ich es gegen ein Entgelt bewerkstelligen, daß er verschwindet –«
    »Natürlich wollen sie ihn – könnt Ihr das auch wirklich?«
    »Es ist nicht leicht – der Leichnam einer Verbrecherin – viele erheben Anspruch darauf – die Wundärzte zum Beispiel –«
    »Um Gottes willen, wieviel?«
    »Keinen Sou weniger als zwanzig Écus.« Die alte Frau sah verschlagen drein.
    »Die sollt Ihr haben. Schwört mir nur, daß Ihr die Leiche sicher verwahrt, bis sie geholt wird.«
    »Oh, das mache ich oft genug – ich habe meine Methoden. Aber lasse sie nicht trödeln. Sage ihnen, sie sollen vor morgen abend nach der alten Marie fragen. Merke dir, die alte Marie im Salle du Rosaire.«
    Als ich die Spitalstation verließ und in die Rue du Marché Palu trat, hörte ich Schritte hinter mir. Erschrocken floh ich zu Fuß zum Parvis de Notre-Dame, und das Geräusch der Schritte verlor sich im Straßenlärm. Aber das unheimliche Prickeln in meiner Kopfhaut sagte mir, daß jemand hinter mir war. Es gab keinen Zweifel; ich wurde verfolgt.

KAPITEL 21
    Z uweilen ist Kühnheit alles. Ich unterdrückte den Impuls, mich in den Schatten zurückzuziehen, und schritt zuversichtlich durch die Menge schreiender Träger auf dem Platz vor NotreDame zu den Droschkenkutschern. Ich wendete den Kopf nicht, sondern tat so, als hätte ich nicht den leisesten Verdacht, daß jemand mir folgte. Mit lauter Stimme wählte ich den Kutscher mit dem am kräftigsten aussehenden Pferd für die weite Fahrt zum Faubourg St. Honoré. Als der rüpelhafte Kutscher mein Geld zu sehen verlangte, erklärte ich mit jenem Hochmut, der nur den Bedienten der Erlauchten eigen ist, ich befände mich auf einem vertraulichen Botengang für meine Gebieterin, und er werde reichlich belohnt, wenn er flink sei. Meine Stimme trug weit, wenngleich ich sie wegen meines Herzklopfens kaum hören konnte. Ich habe ihn irregeführt, nun wird er umkehren und Bericht erstatten, hoffte ich. Aber als ich in die kleine Droschke stieg und mich umdrehte, sah ich den rotbestrumpften Wachtmeister von der Salle du Rosaire fluchend nach Geld kramen, um eine andere Droschke zu nehmen. Wir gelangten flugs zum Pont Notre-Dame, dort aber blieben wir zwischen den zahlreichen Sänften und Fußgängern auf dem

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