Die Hexe von Paris
brauche Euch, Monsieur Lamotte, sie braucht Euch, für diesen einen letzten Dienst. Ich habe die Bestechung eines Wärters in die Wege geleitet, um den Leichnam ausgehändigt zu bekommen. Einem Manne werden sie nicht mißtrauen – wenn er sich als Verwandter ausgibt. Aber mir – sie könnten mich für eine Komplizin des Abtreibers halten.« Lamottes Augen blickten beunruhigt. Die Beförderung der Leichen von Verbrechern war keine Arbeit für den aufsteigenden Günstling einer Gebieterin über den künstlerischen Geschmack.
»Ein Verwandter von ihr?« fragte er. »Was habt Ihr für eine unmenschliche Familie, daß sie sie nicht einmal begraben wollen?«
»Mein Bruder hat sie vor Jahren für tot erklärt. Er wird sich niemals um die Aushändigung ihres Leichnams bemühen. Er ist so kleinlich, es wäre ihm leid um das Geld für ein anständiges Begräbnis, auch wenn es ihm keine Schande bereitete. Er will unbedingt respektabel erscheinen, Lamotte. Aber ich habe Geld, wie Ihr wißt. Ich werde für ihr Andenken sorgen, ich lasse einen Grabstein setzen – aber Ihr müßt mir helfen. Denkt daran, was sie Euch einst bedeutete –« Hierauf legte sich sein Antlitz in Falten, und er sah plötzlich alt aus.
»Meine Jugend ist dahin, Geneviève. Der Mann, der ich einst war, ist mit ihr gestorben. Meine Träume, unsterbliche Größe zu erlangen, den Engel im Fenster zu erobern – dahin, tot, verloren. Versteht Ihr? Ich dichte fürs Ballett.«
»Und Ihr werdet umjubelt – ich habe ›Die Prinzessin des verzauberten Schlosses‹ in St. Germain gesehen.«
»Aber meine Tragödie – ich konnte sie nicht vollenden. Meine ›Sappho‹. Dahin, verdorrt. Und dieses Ende – wie schmutzig, wie gewöhnlich –« Er rieb sich entschlossen die Augen und schneuzte sich abermals. »Sie hätte den Tod einer antiken Tragödie verdient. Nichts Geringeres war ihrer würdig. Aber so – in einem schmutzigen Wohlfahrtsspital verblutet –« Er stützte den Kopf in die Hände und seufzte. Dann blickte er zu mir auf. »Was muß ich tun? Für einen Nachmittag ein habsüchtiger kleiner Bourgeois werden? Nun gut, es sei, für Euch.« Er band seinen Schlafrock enger um seine Leibesfülle und stand auf. »Pierre! Pierre!« Er klatschte in die Hände. »Wo ist der Halunke, wenn man ihn braucht?« Er ging zur Flügeltüre und rief erneut, schließlich erschien der Lakai, ganz außer Atem.
»Pierre, meine kleinste Tagesperücke. Und ein Trauerhabit. Keine Begräbnisbänder. Ich gehe zu einer bürgerlichen Beerdigung. Du verstehst.« Er winkte lässig mit der Hand, als sei er verstimmt über die langweilige Pflicht. Dann verschwand er in dem kleinen Kabinett hinter seinem Empfangssalon. Ich hörte seine Stimme durch die offene Türe. »Sage der Dienstmagd, sie möge hier warten, um mir den Weg zu weisen.« Lamotte war stets ein Mann des Theaters. Wenn einer einen bourgeoisen Advokaten vollendet spielen konnte, dann war er es.
Ich schauderte, während ich allein in einer der leichten Kutschen aus der Remise des Palais de Bouillon kauerte. Lamotte hatte mich in der Rue de Sablon verlassen, eine Straße vom Eingang des Hôtel-Dieu entfernt. Es war schon kalt draußen, die Herbstwinde hatten die feuchten grauen Wolken fortgeblasen, und über den spitzen Schieferdächern waren Flecken von klarem Blau zu erkennen. Solche Tage hatte Marie-Angélique geliebt. Sie sagte immer, ein Wetter, das einem die Wangen röte, dürfe man nicht schlecht nennen. Vor uns auf der Rue de Sablon warteten lustlos die Pferde des gemieteten Leichenwagens; der Kutscher hatte die Zügel an den Bock geknotet und döste.
»Du darfst bei diesem Wetter nicht im Hause Trübsal blasen, Schwester! Es wird bald genug Winter.« Ich vernahm ihre Stimme, als säße sie neben mir. »Höre, wir gehen im Park des Palais Royal Luft schöpfen, und du wirst deine schlechte Laune abschütteln. Zudem könnten wir jemand Interessantem begegnen –« Marie-Angélique, wir gehen ein letztes Mal Luft schöpfen, und ich bringe dich heim.
Jetzt trat die Gestalt in Schwarz aus dem Spital. Lamotte hielt den Kopf gesenkt und hatte den schwerfälligen Gang eines Bourgeois angenommen. Er ging langsam, ganz langsam an der Kutsche, in der ich wartete, vorüber zum wartenden Leichenwagen. Ich sah ihn eine geraume Weile mit dem Kutscher sprechen, welcher wild gestikulierte. Er drückte dem Manne Geld in die Hand. Darauf knallte der Kutscher mit der Peitsche, und der Leichenwagen fuhr auf der Rue de Sablon
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