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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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dem breiten, weißen Federhut der Polizei beugte sich mit einem Notizbuch über das Bett.
    »Halt, stehengeblieben.« Ein stämmiger Wachtmeister trat mir drohend entgegen. »Sie wird verhört, du mußt warten. Bist du ihre Zofe?« Ich spürte die Gefahr, die der Frage innewohnte.
    »Nein, ich komme von ihrer Familie, Monsieur. Sie ging uns durch die Sünde verloren – doch als sie verschwand, schickte ihr Bruder uns alle auf die Suche nach ihr, auf daß er ihr vergeben könne, so ein guter Christ ist er, o ja.«
    »Bruder, äh? Und wer wäre das?«
    »Étienne Pasquier, der Advokat im Hause Marmouset.« Ah, vorzüglich. Ich werde meinen ehrbaren Bruder in einen grausigen Skandal verwickeln. Er wird sich aufblasen und schnauben, wenn die Polizei an seiner Türe erscheint und alle im Hause verhört.
    Ich versuchte, am Wachtmeister vorbei einen Blick auf Marie-Angélique zu erhaschen. Ihre Lippen schienen sich nicht zu bewegen. Der Mann rüttelte an ihrer Schulter, um sie zu wecken, sie schlug kurz die Augen auf und verdrehte sie vor Schrecken, doch ihr entfuhr kein Laut. Ehre, dachte ich. Die Ehre des unwürdigen Vivonne. Wie verschwendet war deine Liebe, Schwester. Sage es, sage alles.
    »Ich weiß, es ist falsch, aber ich kann nichts dafür, daß diese Mädchen mich dauern«, murmelte der Wachtmeister. »Arme Kleine. Diese war noch dazu hübsch. Und nun wird sie den Tag nicht überleben. Glaube nicht, daß wir gefühllos sind – es ist unsere einzige Möglichkeit, den Namen des Abtreibers zu erfahren. Schweine wie ihn richten wir hin.«
    »Gott gebe, daß Ihr ihn findet, den abscheulichen Mörder«, pflichtete ich ihm bei. Der Mann am Bett seufzte vor Enttäuschung; er stand auf und sah zu uns hinüber. Seine Miene veränderte sich nicht im geringsten, als er mir geradewegs ins Gesicht blickte. Es war Desgrez. Ich konnte nicht zurückweichen oder fliehen, so blieb ich stehen wie ein Vogel, der vom Blick der Schlange gelähmt ist. Nur Mut, sagte ich mir, und ein einfältiges Gesicht aufsetzend, schlurfte ich mit einem übertriebenen Hinken zum Bett.
    »Kenne ich dich nicht?« fragte Desgrez verbindlich.
    »Eine Dienstmagd der Familie, ausgeschickt, sie zu suchen«, unterbrach die Novizin, die mit einem Krug Wasser und mehreren Tüchern über dem Arm herantrat.
    »Christliches Verzeihen ist löblich«, erwiderte Desgrez, seine Augen aber, die nicht von mir abließen, schienen mich bis aufs Rückgrat zu durchbohren.
    »Laßt mich näher treten, ich muß ihr Gesicht sehen, um sicherzugehen«, sagte ich mit dem schwerfälligen, unfeinen Akzent der Pariser Gassen.
    »Ja, ich kenne dich – das Lehrmädchen der lingère.«
    »Ich hab' jetzt eine bessere Stellung – viel besseres Essen und weniger Arbeit.« Der Teufel sollte sein vortreffliches Gedächtnis holen. Ein wandelndes Polizeiregister.
    »Im Hause-?«
    » – Pasquier«, warf der Wachtmeister ein. Desgrez hob eine Augenbraue.
    »Interessant, Wachtmeister. Das erklärt die Spitzen auf der Wäsche. Es erstaunt mich, daß man sie überhaupt aufgefunden hat. Sage mir, kleine lingère –«
    »Annette, Monsieur –«
    »Sage mir, Annette, ist diese Frau etwa die berühmte La Pasquier?«
    »Davon weiß ich nichts. Sie ist bloß die Schwester meines Herrn.«
    »Und wie bitte, sage mir, bist du ins Haus Pasquier gelangt?« Sein Verhör behagte mir ganz und gar nicht. Es nahm eine gefährliche Wendung.
    »Mein Freund – er kannte jemand und sorgte dafür, daß ich die Stelle bekam –« Ich zwinkerte. Desgrez sah mich lange von oben bis unten an. Seine Augen erfaßten den grellen Besatz des billigen Kleides, meine krumme Körperhaltung und die dümmliche Miene, die bekunden sollte, daß wir uns verstanden. Ein Ausdruck des Mißbehagens ging über sein Gesicht. Ein gesellschaftlicher Aufstieg der niederen Schichten freute ihn offensichtlich nicht. Ich wüßte gerne, wie Ihr über dieselbe Sache bei den Reichen denkt, dachte ich. Habt Ihr Euch vor La Pasquier verbeugt, wenn sie in ihrer Kutsche an Euch vorüberfuhr? Verbeugt Ihr Euch vor La Montespan?
    Er zog den Wachtmeister beiseite, und ich hörte ihn leise sagen: » – kein Wort über das hier – Größeres im Spiele – gefährlich, sich einzumischen, muß zu La Reynie –« Ich machte mir ihre Unachtsamkeit zunutze und schlüpfte zu Marie-Angélique ans Bett.
    »Hat sie Euch etwas gesagt?« Die tiefe Stimme des Wachtmeisters trug, obwohl er flüsterte. Ich kniete mich neben Marie-Angélique und legte meine Hand

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