Die Hexe von Paris
Papier.«
»Mademoiselle de Thianges«, hörte ich eine Stimme flüstern. Die Herzogin sah mich an.
»Ja, es scheint Mademoiselle de Thianges zu sein«, beantwortete ich ihre unausgesprochene Frage.
»Und der Herr?«
»Der Herr scheint der Stückeschreiber zu sein, Chevalier de la Motte«, sagte ich. Die Miene der Herzogin blieb unbewegt.
»Dann habt Ihr wahr gelesen. Ich wäre über eine Täuschung sehr verstimmt gewesen«, sagte die Herzogin. Sie mag ja eine Mancini sein, dachte ich im stillen, aber auch ich weiß mich einiger Listen zu bedienen.
»Und?« fragte sie beinahe nonchalant. »Ging die Dame inkognito zu einem heimlichen Stelldichein?«
»Das, Madame, sagt das Glas nicht. Soweit ich es zu erkennen vermochte, könnte das gefaltete Blatt Papier schlicht ein bewunderndes Gedicht sein.«
»Wenn dem so ist, dann sind es zwei –«, sann sie vor sich hin. Ich hatte Herzklopfen. »Sei's drum«, sagte sie laut, »es gehört nicht viel dazu, einen kleinen Dichter zu erobern. Ihr könnt Euch entfernen, Madame de Morville.« Sie machte eine fast unmerkliche Handbewegung, und ein Lakai führte mich zur Türe und drückte mir eine Börse aus Brokatseide, schwer von Geldstücken, in die Hand. Beinahe, als wären es dreißig Silberlinge, dachte ich. Ich habe André verraten, diesen Narren.
Draußen fiel leichter Schnee, er bestäubte die Kutsche, den Hut und Umhang des Kutschers und die Rücken der Pferde mit weißem Puder. Nein, ich habe André nicht verraten, dachte ich, als ich mich unter die Pelzdecke kuschelte und die weißgepuderten Häuser zu beiden Seiten der Straße betrachtete. Sie war ja schon im Bilde. Dann fiel mir ein, wie er die Augen von meinem Fuß abgewendet hatte. Diese vielen Liebesschwüre – er hatte es nur getan, um einen Freund zu verletzen, der ihn öffentlich einen Gigolo geheißen und seinen Verstand brüskiert hatte. Er muß gedacht haben, d'Urbec und ich hätten dort in meinem Hause eine Affäre gehabt. Wer hätte das nicht gedacht? Wenn es nach seiner Tante gegangen wäre, waren wir praktisch verlobt. Aber eigentlich konnte ich es d'Urbec nicht verdenken. Auch ich hätte jemandem die Leviten gelesen, wenn er das für mein Begräbnis bestimmte Geld verschwendet hätte. Außerdem sollten wenig intelligente Leute nicht beleidigt sein, wenn ihnen jemand die Wahrheit sagt. Schließlich war die Todesszene in Lamottes »Osmin« stark übertrieben, und seine Verse waren stellenweise schwach. Und die schlichte Wahrheit war, daß Lamotte ein routinierter Liebhaber war, der wunderbar log und seinen Charme jeder Frau zuteil werden ließ, die seiner Sache förderlich sein konnte. Ich war ihm in dem Augenblick von Nutzen gewesen, als er mit einem Freund haderte, und so hatte er mich getäuscht. Da war es nur gerecht, was ihm nun geschehen würde, er hatte es verdient. Aber ich hatte diesen Charme angebetet, wenngleich ich wußte, wie falsch er war, und ich hatte die Lügen gewollt. War es unrecht, den Mann meiner Träume zu besitzen, und sei es aufgrund einer Lüge? Und was war, als wir Marie-Angélique verloren hatten? Wir hatten uns ihretwegen in Gefahr begeben. Er hatte sie geliebt. Was hernach geschah, war bestimmt nicht ausschließlich Lüge gewesen. Ein wenig eigennützig, das ja. Falsch, nein. Und wenn schon. Sollte ihm zuteil werden, was er verdiente. Aber, dachte ich, was hatte dann ich verdient? Der rasch fallende weiße Schleier schien alle Antworten vor mir zu verbergen.
KAPITEL 25
M adame, Ihr macht Euch lächerlich, wenn Ihr so aus dem Fenster starrt. Er wird nicht wiederkommen, das wißt Ihr. Die Männer verschwinden immer, wenn sie ihre Kurzweil gehabt haben.«
»Ich sehe dem Schnee einfach gerne zu. Manche Leute finden des poetisch.« Es war am Silvesterabend; morgen würden wir das Jahr 1677 schreiben.
»Poetisch, ha! Der Mann fürchtet, die Gönnerschaft der Herzogin zu verlieren. Die Männer sind stets zuerst auf ihr eigenes Wohl bedacht. Er mag ja ein Weiberheld sein, aber er weiß, auf welcher Seite das Brot mit Butter bestrichen ist.«
»Männer hier, Männer da! Wer hat dich zu einer Philosophin über die Männer gemacht?«
»Die Männer, Madame. Und ich sage, wenn einer sich davonmacht, dann solltet Ihr es ihm gleichtun und Euch einen neuen Liebhaber nehmen. Brissac zum Beispiel. Ich, also ich meine, ein Mann von Stand ist besser als ein Niemand von Schreiberling, und wenn er noch so entzückende Waden hat.«
Ich wandte mich ihr ergrimmt zu. »Sylvie! Wer hat
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