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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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flüsternd zurück. Und wir tranken uns satt aus dem Kelch der Venus und ließen den Wein unberührt. Und ich, ich fühlte mich endlich schön – so schön, daß ich es kaum ertragen konnte. Die Briefe, die Liebesgedichte, die Monate der Verehrung unter dem Fenster, sie schienen jetzt alle mir zu gehören. Jetzt wurde ich geliebt, wie mein trauriges kleines Mädchenherz es sich immer ersehnt hatte.
    »O verflucht, ich habe die Karaffe umgestoßen«, rief er aus, als er träge aus dem Bette nach dem Kelch langte. Dann wälzte er sich herum, um mich abermals anzusehen. »Sei's drum, ich will heute nacht nur von Euren Lippen trinken.« Nach einem neuen Zwischenspiel sah er mich an und sagte: »Meine Teure, auch der vollkommenste Augenblick muß ein Ende haben, und es wäre nicht klug, an dieser Stätte die Nacht zu verbringen.«
    »Ihr seid ein Mann von Welt, André«, räumte ich ein. Ich wußte noch besser als er, daß jeder, der an einem solchen Orte schlief, die ewige Ruhe im Fluß finden konnte, entblößt und unkenntlich.
    »Laßt mich Euch beim Ankleiden helfen«, erbot er sich galant. »Ich liebe es, Damenkleider anzufassen – die Knöpfchen, den köstlichen Druck der Stäbe, die duftende Seide –« Er kniete nieder, mir die Strümpfe anzuziehen, als hätte er es schon bei Hunderten anderer Frauen getan, und fuhr mit den Fingern so lässig an meinen Schenkeln entlang, daß es wie Zufall erschien. Dann fühlte ich, wie er zögerte. Seine Augen waren auf meinen entstellten Fuß gefallen.
    »Laßt nur«, sagte ich, »das kann ich selbst.« Mit erleichterter Miene erhob er sich, um seine Beinkleider anzuziehen, während ich meine Strumpfbänder festmachte und den gepolsterten hohen Schuh zuschnürte.
    »Habt Ihr d'Urbec in letzter Zeit gesehen?« fragte er wie von ungefähr. »Er scheint neuerdings fabelhaft reich zu sein. Letzthin traf ich ihn bei meinem Schneider, wo er ein Habit aus gemustertem Samt bestellte. Denkt Euch! D'Urbec in Samt! Und wenn man einen Hund noch so sehr kämmt, er ist und bleibt ein Hund, äh? Er besaß die Unverschämtheit, mich zu fragen, ob das Gerücht wahr sei, daß die Herzogin ein Muttermal auf dem Gesäß habe. Verflucht peinlich in Gegenwart meines guten Freundes Pradon.«
    »Monsieur d'Urbec wird im allgemeinen nicht für seinen Takt gepriesen«, erwiderte ich in neckischem Ton. Aber mir schien, als wolle sich etwas Schweres, Kaltes in meinem Herzen einnisten.
    »Ah, nun aber genug – sprechen wir lieber von uns. Wir sind zu behutsam gewesen, meine Liebe. Wenn ich bei Euch bin, ist mir, als müsse ich unsere Leidenschaft von den Dächern kundtun! Unsere Liebe spottet der Konventionen – wir müssen der Welt trotzen! Ja, wir müssen uns in der Öffentlichkeit zeigen, wir müssen die Klatschmäuler quälen!«
    »André, denkt an Eure Laufbahn – wir können uns nicht in der Öffentlichkeit zeigen – Eure Gönnerin –« Doch noch während ich sprach, wurde ich gewahr, daß sein Tonfall gekünstelt war. Was hatte er im Sinn?
    »Eine kurze Meldung, ein Hinweis – ein Leckerbissen für die libellistes – es kann meiner Reputation nur förderlich sein. Was gäbe es Besseres, meinen Namen zur Vorbereitung der Aufführung meiner ›Theodora‹ in aller Munde zu bringen? Inkognito in einer Loge am Premierenabend meines lieben Freundes Pradon. Eine geheimnisvolle Frau in der Gruppe um den Chevalier de la Motte – könnte sie es sein, die Inspiration? Es wird ein – Ereignis.« Aha. Das war es also. Wer könnte mich erkennen, maskiert und ohne meine Witwentrauer, außer d'Urbec? Und wir kannten beide seine Leidenschaft für das Theater. Er würde keine Premiere versäumen. Einerseits freute es mich, Lamotte nicht erzählt zu haben, daß d'Urbec die Stadt verlassen hatte. Als ehrbare Witwe, die ihren Stand zu wahren hatte, war ich in der Stadt nie im Theater gewesen. Es schickte sich einfach nicht. Und für die Vorstellungen bei Hofe, nun, da brauchte man Beziehungen. Ich hatte nur »Iphigenie« und eine Wiederaufführung von Molières »Le Médicin Malgré Lui« gesehen. Wenn Lamotte wüßte, daß d'Urbec Paris verlassen hatte, wäre mir diese Chance, meine Neugierde zu befriedigen, gewiß verwehrt. Doch andererseits kam ich mir gering und ausgenutzt vor.
    Letztlich aber überzeugte mich eine Geste seiner Hände, die ein interessanteres Argument darstellte, als Lamotte es aussprechen konnte. Sie überwältigte meinen Verstand. Mein Kopf erfand weitere gute Gründe, wenngleich mein

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