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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Herz vor der Erkenntnis zurückschreckte, daß André mich nicht um meiner selbst willen lieben konnte.
    »Ich bin die Eure«, sagte ich.
    »Natürlich seid Ihr das«, erwiderte er, indes sein Schnurrbart meinen Hals kitzelte. Das golden glitzernde Unterkleid raschelte, als es abermals hochgeschoben wurde und eines meiner Strumpfbänder zu Boden fiel, während er sich vergewisserte, daß ich außerstande sei, eine Verweigerung auch nur in Erwägung zu ziehen. Als wir schließlich bereit zum Aufbruch waren, bückte ich mich, mein Strumpfband aufzuheben. Erst jetzt bemerkte ich die eigenartigen Blasen, die der verschüttete Wein bildete, als er sich durch die Lasur der Dielenbretter tief in das Holz hineinfraß.

    »Nun, Madame, gesteht, die neue Schminke ist sehr effektvoll.«
    »Wirklich nicht übel, Sylvie. Ich sehe aus wie ein gut erhaltener Leichnam.« Ich war ausnahmsweise mit der Wirkung zufrieden. Adieu, verräterisch gerötete Wangen und leuchtende Augen. Noch zufriedener wäre ich gewesen, wenn ich mir einen Sack mit Gucklöchern hätte über den Kopf stülpen können. Zitternd vor Kälte war ich vor Morgengrauen aufgestanden, um mich für die levée der Duchesse de Bouillon herrichten zu lassen. Ich möchte nie eine Hofdame sein, dachte ich. Sie machen dies jeden Tag. Die Kerzen flackerten noch auf meinem Toilettentisch, im Wettstreit mit dem ersten fahlen Licht. An einem kalten Wintermorgen übte die Vorstellung, die Welt mit meiner Leidenschaft herauszufordern, nicht denselben Reiz aus wie an einem seligen Abend, der von wunderbaren Liebesspielen erfüllt war. Dies war die Frage, die mich quälte: Hatte sie nur gewußt, daß Lamotte ein Rendezvous hatte, oder wußte sie auch, mit wem? Wußte er, daß sie es wußte, und war seine Unachtsamkeit, als er die Weinkaraffe umstieß, gespielt? Und doch hatte die Vorstellung eine gewisse Faszination: auf dem Höhepunkt einer Affäre, nachdem ich den Neid der Frauen von halb Paris erregt hatte, zu erlöschen und gewissermaßen als fatale Schönheit unsterblich zu werden. Eine Idee, die einem unansehnlichen Mädchen sehr behagt. Zudem konnte Lamottes Interesse nicht von Dauer sein. Und etwas wie dieses würde sich vielleicht nie wiederholen.
    Doch im kalten Morgengrauen sieht alles anders aus. Da denkt man ans leibliche Wohl: Frühstück, Pantoffeln, Schokolade, Wärme. Und vom leiblichen Wohl ist es nur ein Schritt bis zu dem Wunsch, lieber behaglich als unansehnliches Mädchen zu leben, denn als eine Aphrodite zu sterben.
    »Mehr Schatten unter meine Augen, Sylvie. Ich möchte noch ausgezehrter aussehen.« Sylvie beendete ihr Werk mit einem Hauch mattgrünem Gesichtspuder, dann nahm sie mir den Frisierumhang von den Schultern und befestigte die altmodische Halskrause.
    »Ihr seht fürchterlich aus«, erklärte sie fröhlich, »wie eine gräßliche Hexenmeisterin.«
    »Vortrefflich«, entgegnete ich. Damit stand ich auf und hieß sie mir meinen dicksten Umhang um die Schultern legen.
    Ich weidete mich an dem Schauder des Entsetzens, der das Schlafgemach der Herzogin durchfuhr, als man mich hereinführte. Dem Flötisten blieb für einen winzigen Moment die Luft weg, doch die beiden Violinspieler übertönten den Mißklang. Die Hofdamen warfen sich Blicke zu. Die Herren Bittsteller rührten sich unbehaglich. Pradon, der aus seinem neuesten Werk rezitierte, hielt abrupt inne und starrte mich an. Die Hand der Zofe mit der Haarbürste verhielt mitten in der Luft über den dunklen, zerzausten Haaren ihrer Gebieterin. Nur die Augen der Herzogin, wie schwarze Steine auf dem Grunde eines schwarzen Teiches, diese kalten Mancini-Augen, blieben unverändert, als sie mir ihr Antlitz zuwandte und dann wieder in den hohen Spiegel ihrer Frisiertoilette blickte. Sie saß in einem vergoldeten Lehnstuhl mit niedriger Rückenlehne, und von meinem Standort sah es so aus, als ob die Falten der Schleppe ihres Morgenrockes aus karmesinrotem Samt die Stuhlbeine völlig verdeckten. Der Stuhl vor dem mit Elfenbein und Perlmutt eingelegten Toilettentisch schien zu schweben. Zu ihren Füßen tummelte sich ein Paar gefleckter Schoßhündchen. Zwischen den Parfümflakons putzte Madame Carcan, ihre Lieblingskatze, zufrieden ihr weißes Fell, und ihre rätselhaften gelben Augen würdigten mich nur eines kurzen Blickes.
    »Sehr gut, Pradon, Ihr könnt fortfahren«, sagte die Herzogin. Er sah verwirrt drein. Das Manuskript, aus dem er gelesen hatte, raschelte in seiner Hand. »Ihr hattet soeben

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