Die Hexe von Paris
Astaroth zum Beispiel, er steht im Range eines Großfürsten und ist der Gebieter von Nebiros –« So plauderten wir weiter, bis die Unmenge Wein, die er getrunken hatte, ihn nötigte, sich vorübergehend zu entfernen. In dem Augenblick, da er sich erhob, ergriff ich die Flucht, meine Schleppe gerafft in der Hand, Gilles dicht hinter mir. Mustafa und Sylvie hatten die Kutsche zum Vordereingang gebracht, als hätten sie meine Gedanken gelesen. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Sylvie klopfte die schmelzenden Schneeflocken von meinem Umhang, als ich mich in das Dunkel der Kutsche rettete.
»Madame, was ist geschehen? Hat Brissac –?«
»Sylvie, es ist viel schlimmer. Chevalier de Saint-Laurent ist nicht mehr im Kerker.«
Nie habe ich mich weniger auf eine Geselligkeit gefreut. Der heitere Inkognito-Abend tat sich drohend vor mir auf wie der Tag des Jüngsten Gerichts. Wie hatte es geschehen können, daß ich, eine freie Frau mit eigenem Einkommen, so schamlos verkauft worden war? Vielleicht kann niemand von uns jemals frei sein. Wir müßten eine andere Welt haben, und ich kann mir nicht vorstellen, wie sie aussähe. Im Land der Amazonen vielleicht. Dort gäbe es keine Brissacs. Keine listigen Kupplerinnen und keine Furcht. Aber mich würden sie dort auch nicht haben wollen. Ich konnte nicht reiten, ich konnte nicht marschieren, ich konnte nicht mit Pfeil und Bogen schießen. Du wirst nirgends hinpassen, sagte die böse kleine Stimme in meinem Kopf.
»Madame, es ist jemand an der Türe. Brissac ist pünktlich. Er scheint es nicht abwarten zu können.«
»Er kann es nicht abwarten, mich im Morgenrock zu sehen, meinst du. Mustafa soll ihn bitten, Platz zu nehmen. Führe ihn nicht hinauf, bis ich fertig geschminkt bin.«
»Sehr wohl«, erwiderte Sylvie. Sie band mir das Haar mit einem blauen Satinband aus dem Gesicht und trug die dicke weiße Paste auf, die meinem Antlitz die geisterhafte Blässe verlieh. Aber sie war kaum fertig, als die Türe des Schlafgemachs krachend aufgestoßen wurde.
»Madame, ich schwöre, sie wollten nicht warten«, rief Mustafa. Ich drehte mich um, um Brissac mit kaltem Blick und gehobenen Brauen zu begegnen. Doch es war nicht Brissac, der in der Türe stand. Es war Hauptmann Desgrez mit zwei Gehilfen in den bauschigen blauen Kniehosen und schlichten blauen Wollröcken der Polizei. Desgrez verbeugte sich und nahm seinen weißen Federhut ab.
»Madame de Morville, ich bin Polizeihauptmann Desgrez«, sagte er.
Während mein Verstand geschwind eine Liste von Gründen durchging, die ihn hergeführt haben könnten, hörte ich meine Stimme sagen: »Monsieur Desgrez, bitte verzeiht mein Négligé und gebt mir die Ehre, in dem Lehnstuhl dort drüben Platz zu nehmen.« Er setzte sich, seine Gehilfen nahmen zu beiden Seite des Stuhles Aufstellung. Er wirkte wie ein Richter, der mich für schuldig befand, noch bevor ich den Mund aufgemacht hatte.
»Höllenfeuer und Verdammnis«, verkündete der Papagei.
Desgrez blickte zu dem Vogelgestell, und der Vogel erwiderte seinen Blick mit glänzenden Äuglein. Während ein Gehilfe seine Belustigung in einem Hüsteln erstickte, sah Desgrez mich argwöhnisch an.
»Seltsamer Wortschatz für einen Vogel.«
»Ich habe ihn von jemand bekommen, der ihn sprechen gelehrt hat. Ich spiele mit dem Gedanken, einen Hauslehrer zu engagieren, der ihm bessere Manieren beibringt«, entgegnete ich.
»Madame, ich bin gekommen, Euch ein paar Fragen zu stellen«, sagte er, und der Mann an seiner Seite zog ein Notizbüchlein hervor.
»Es wird mir ein Vergnügen sein, nach bestem Wissen und Gewissen zu antworten«, erwiderte ich mit einem herablassenden Nicken.
»Der Spiegel Eures Toilettentisches ist mit Musselin verhängt, Madame de Morville. Weshalb habt Ihr das größte Entzücken der Frauen verhüllt?«
»Monsieur, ich besitze die unselige Gabe, in Spiegelbildern Abbilder der Zukunft zu erblicken. Meine eigene Zukunft ist ein Totenschädel. Ich wünsche ihn nicht zu sehen.«
»Gewiß ist Euch bekannt, daß man denen, die sich dem Teufel verkaufen, nachsagt, sie hätten kein Spiegelbild. Gestattet Ihr, Madame?« Ich nickte stumm, und einer seiner Gehilfen zog die Musselinhülle herunter. Ich wandte den Kopf vom Spiegel ab und schlug die Hände vor die Augen.
»Ihr habt ein ganz gewöhnliches Spiegelbild, Madame«, stellte er fest, und seine Stimme klang erleichtert. »Warum haltet Ihr Euch dann die Augen zu – was seht Ihr?«
»Blut, Hauptmann Desgrez. Einen
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