Die Hexe von Paris
Blutstrom, der sich über den Spiegel ergießt.« Er erhob sich, trat näher und schob seine Hand zwischen mich und den Spiegel.
»Wessen Blut?« fragte er leise.
»Das weiß ich nicht, aber es ist sehr schlimm. Manchmal sehe ich es zwischen den Steinen der Place Royale sickern. Blut und noch mehr Blut, genug für ganz Frankreich«, erwiderte ich, vom Spiegel abgewandt, den Blick zu Boden gesenkt.
»Blut ist es, weswegen ich gekommen bin, Madame de Morville.« Seine Stimme klang beiläufig, entwaffnend. »Sagt mir, kanntet Ihr Monsieur Geniers, den Richter?«
»Monsieur Geniers?« Ich blickte erschrocken auf. »Ja, ich kenne ihn. Warum sagt Ihr ›kanntet‹?«
»Er ist tot, Madame, ermordet. Und bei seinen Papieren fanden sich Euer Name und eine Empfangsbestätigung für Geld – oh, Eure Hände zittern. Sagt mir, was wißt Ihr über diese verbrecherische Tat?«
»Chevalier de Saint-Laurent. Er muß es – o Gott, er ist rachsüchtig!«
»Chevalier de Saint-Laurent? Wie kommt es, Madame, daß Ihr diese Männer kennt? Habt Ihr ihnen wahrgesagt?« Es klang verbindlich, doch hinter dem sanften Ton verbarg sich eine Drohung. O Geneviève, du wirst nicht umhinkönnen, die Wahrheit zu sagen.
»Monsieur Desgrez, ich war eine stille Teilhaberin von Monsieur Geniers. Ich habe ihm Geld geliehen, um die Spielschulden des Chevalier de Saint-Laurent aufzukaufen, so daß Monsieur Geniers ihn in den Schuldturm bringen konnte. Monsieur Geniers wollte sich für die Verführung seiner Gemahlin rächen. Und mir, mir hatte Chevalier de Saint-Laurent Schlimmes angetan; so diente es auch meiner Rache, Monsieur Geniers beizustehen, indes ich das, was von meiner Reputation geblieben war, unter dem Schutzschild eines anderen Namens bewahrte.« Die Männer neben Hauptmann Desgrez sahen sich an, als sei etwas Wichtiges vorgebracht worden. Unversehens wurde mir bange. »Sagt mir, Monsieur Desgrez – habt Ihr Chevalier de Saint-Laurent schon in Gewahrsam genommen?« Entweder war er auf freiem Fuß, dann mußte ich beten, daß er mich nicht mit Monsieur Geniers in Verbindung brachte, oder er war im Kerker und wurde verhört, dann mußte ich beten, daß er mich nicht mit seiner verschwundenen Nichte in Verbindung brachte. Sie würden mich zum Verhör bringen. La Dodées Worte gingen mir durch den Kopf: »Du kannst ein polizeiliches Verhör nicht aushalten. Du hältst nicht einmal den Schmerz eines fest geschnürten Korsetts aus.«
»Leider ist er uns entkommen«, antwortete Desgrez.
»Weiß er –?« Meine Stimme war matt und heiser.
»Daß Ihr die andere Person seid, an der er Rache nehmen muß? Womöglich nicht. Das Papier war in Monsieur Geniers' Kabinett verschlossen, und Saint-Laurent hat ihn vor seiner eigenen Türe mit einem schweren Spazierstock zu Tode geprügelt. Die Bedienten des Richters schrien Zetermordio und verfolgten ihn eine ganze Strecke, ehe er entkam.«
Ich griff mir ans Herz. »Dann, Monsieur Desgrez, ist es vielleicht nicht mein Blut – zumindest vorerst nicht.«
Desgrez setzte eine onkelhafte Miene auf. »Dann werdet Ihr nichts dagegen einzuwenden haben, mitzukommen und vor einem Polizeischreiber eine Aussage zu machen.«
Gefahr, rief mein Verstand. »Monsieur, ich bin nicht angekleidet.«
»Dann kleidet Euch an. Ich kann warten.«
»Aber Monsieur, ich habe eine Verabredung.«
»Ihr seid es dem Frieden des Reiches Seiner Majestät schuldig, bei der Dingfestnahme eines Mörders behilflich zu sein. Es wird nur ein wenig von Eurer Zeit beanspruchen – und überdies ist eine kleine Verspätung fürnehm.« Er ließ sich tiefer in den Lehnstuhl sinken, als sei er sein Eigentum. Halte ihn auf, summte mein Verstand. Halte ihn auf, bis Brissac kommt. Das wird die Sache zumindest komplizierter machen.
»Wünscht Ihr eine Stärkung, während ich mich ankleide?«
»Es genügt mir, auf Euch zu warten, Madame.« Gräßlicher Jansenist. Über allem die Pflicht. Ich beriet mich ausführlich mit Sylvie über meine Toilette. Sollte ich für meine Haare die mit Edelsteinen besetzten Kämme nehmen oder sie, dem Nachthimmel gleich, mit Brillanten bestirnen? Meine Hände, sollte ich sie mit Armreifen schmücken, oder genügten die Ringe? Desgrez' gelangweiltes Auge schweifte durch das Zimmer, erfaßte den hohen Wandschirm neben dem Schrank, das kleine Schreibpult, das Bord mit erbaulichen klassischen Werken. Mit einem Seitenblick auf die Gehilfen nahm Sylvie mit Eifer meine Schachtel mit Schönheitspflästerchen in
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