Die Hexe von Paris
Euch auch entgelten.«
Cato hatte mich inzwischen eindringlich betrachtet. »Und ich nehme an, Ihr lest ebenso Griechisch, Athena?«
»Ein wenig. Mein letzter Tutor ist zu früh gegangen.«
»Dann haltet dafür, daß Ihr als Gegenleistung unserem Petronius dankbar Eure Hilfe anbietet, andernfalls er auf Eurer Schwelle verschmachtet und stirbt. Ich werde Euch Euer unflätiges Buch beschaffen, aber es kann ein Weilchen dauern.«
Ich nehme an, der Umstand, daß ich Athena genannt wurde, besiegelte die Sache. Sein sardonisches Lächeln verstörte mich. Hinter seinen dunklen Augen sah ich eine flammende Intelligenz, die, einem Rapier gleich, Heuchelei und Selbsttäuschung durchstach. Der Mann bekommt, was er will, dachte ich. Ein Gesellschaftspirat. Ein Mann von Nirgendwo, der Paris zu entern gedenkt wie eine Galeone. Ich schnappte den Brief und schlug im selben Moment die Pforte hinter mir zu.
KAPITEL 4
O h, was ist das?« Marie-Angélique nahm den Brief überrascht entgegen.
»Wieder ein Liebesbrief, dünkt mich.«
»So, trägst jetzt sogar du sie mir zu. Ist er von dem reizenden jungen Mann, der mich aus seiner Kutsche gegrüßt hat?«
»Nein, von dem mit den Bändern und den Stiefeln, der vor der Türe steht.«
»Ach der.« Marie-Angélique überflog den Brief, dann legte sie ihn zu ihren anderen Trophäen in die Schublade ihrer Frisiertoilette. »Sag mir, Geneviève, wie hört sich das an, eine Herzogin zu sein?«
»Hm, es hört sich sehr gut an. Wer ist die Herzogin?«
»Mademoiselle de la Vallière ist Herzogin geworden, weil sie die Favoritin des Königs ist und ihm Kinder geboren hat.«
»Die Römer hielten die Tugend für die größte Zierde einer Frau. Die edle Lucretia hat sich lieber das Leben genommen, als den Makel der Entehrung zu erleiden.«
»Aber wir sind keine alten Römerinnen, Geneviève. Die sind alle tot. Wir sind Französinnen. In unseren modernen Zeiten sehen die Dinge anders aus.«
»Das ist allerdings wahr. Wer setzt dir so etwas in den Kopf? Onkel?«
»Ich meine, es ist eigentlich nicht sehr sündig, oder? Rang und Reichtum statt Armut und niederer Stand. Ihre Familie war ihr dankbar. Sie hat ihnen zu Titeln, Ämtern und Wohlstand verholfen. Und überdies geht der König regelmäßig zur Kommunion, da kann es selbst der liebe Gott so übel nicht finden.«
»Ich hoffe, du denkst dabei nicht an dich, Marie-Angélique.«
»Ich? Niemals. Das ist lächerlich. Ich könnte dem König ja nicht einmal vorgestellt werden. Die Einführung bei Hofe kostet so viel. Ich dachte nur so allgemein –« Sie blickte recht verträumt drein, wie sie so an ihrer Frisiertoilette saß und ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. »Denk nur, Geneviève, würde es dir nicht gefallen, einen schönen Diamantanhänger zu tragen oder ein Paar erlesen gearbeitete Ohrringe, statt der kleinen Halskette aus Korallenperlen, die Großmutter dir geschenkt hat?«
»Geschmeide sieht an mir lächerlich aus. Ich trage die Kette nur aus Achtung für Großmutter – ihre Freude überwiegt meine Abneigung, mich zu schmücken.«
Marie-Angélique lachte. »Ach, Geneviève, du bist so weltfremd.«
»Ich gefalle mir so. Ich habe weniger Sorgen.«
»Hast du denn nie von der Liebe geträumt?«
»Liebe? Wer würde mich schon wollen? Nein, ich bleibe hier und lese Philosophie und kümmere mich um Vater. Und wenn ich alt bin, verbringe ich meine Zeit mit Stöbern bei den Buchhändlern und gebe kleine Soireen für aufstrebende Schriftsteller und Künstler.«
»Ach, Schwesterchen, befolge meinen Rat. Du bist viel zu jung, um Exzentrikerin werden zu wollen. Träume von einer großen Zukunft. Beten kann Wünsche wahr werden lassen.«
»Träume sind nur Wolken, Marie-Angélique. Wir gestalten unsere Zukunft durch rationelles Denken und realistisches Planen. Ich will mich nicht mit albernen Träumen blenden.« Insgeheim verbannte ich die Phantasievorstellung aus meinem Inneren, daß der schöne André Lamotte käme und unter meinem Fenster auf der Gitarre spielte. Unansehnliche Mädchen können sich keine Gedanken an eine Romanze leisten.
Zu dieser Zeit war es, daß Vater zu kränkeln begann. Es war etwas Geringfügiges – eine Verdauungsstörung. Der Doktor bezeichnete es als eine gichtige Beschwerde und verordnete ein Klistier. Als Vater dann bettlägrig wurde, kam der Doktor wieder und verkündete, ein Zuviel an Gallenflüssigkeit mache eine unverzügliche Behandlung erforderlich. Nach mehrmaligem Aderlassen und Schröpfen
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